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Ein Toter fuehrt Regie

Ein Toter fuehrt Regie

Titel: Ein Toter fuehrt Regie
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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herbei und zeigte ihm seine Entdeckung.
    Langsam, sehr langsam dämmerte es auch bei seinem Assistenten. «Du meinst also… Du meinst, er hat das Messer mit dem Griff gegen die Wand gesetzt und sich…» Er brach ab, weil ein Hausbewohner, ein älterer Mann, mit einer schäbigen Einkaufstasche vorbeiging und sie sekundenlang anstarrte. «Du meinst also, er hat sich selbst mit dem Körper, mit dem Rücken gegen die Messerspitze gedrückt – so lange, bis die Klinge…»
    «Ja, das meine ich.»
    «Das ist doch Wahnsinn!»
    «Nein, Berechnung. Zumpe hat Kuhring das Gift in die Vitaminkapseln getan, er hat ihn ermordet – in der Gewißheit, daß alle Welt Ossianowski für den Mörder halten würde. Doch dann tauchten plötzlich Owis Aufzeichnungen auf, und er mußte von der Möglichkeit, sogar von der Wahrscheinlichkeit ausgehen, daß Ossianowski wußte, wen seine Frau nach der Scheidung heiraten wollte – seine Frau, die er noch immer abgöttisch liebt. Die Aufzeichnungen also, die ihn – seiner Meinung nach – als Kuhrings Mörder ausweisen mußten. Alles sprach gegen ihn, auch die Tatsache, daß er bisher von allen vier Kollegen als einziger mit heiler Haut davongekommen war. Das muß seine Reaktion erst so richtig ausgelöst haben – das und die Tatsache, daß Schloo plötzlich als Owis Killer ausschied, es also – da das Geld weiterhin verschwunden blieb – einen anderen Killer geben mußte… Und diese seine letzte Chance hat er genutzt.»
    «Klingt logisch…» Aber Koch war noch nicht so recht überzeugt.
    «Zugleich war’s wohl auch eine Flucht aus der Wirklichkeit, ein Zeichen für die Umwelt: Ich kann nicht mehr. Oder auch ein echter Selbstmordversuch, der wie ein Mord aussehen sollte, weil er sich schämte, daß… Ein Mann wie Zumpe, der posaunt es nicht gern aus, wenn er scheitert.»
    Koch kratzte sich am Kopf. «Ich weiß nicht recht…»
    Mannhardt lächelte. «Ich hab noch meinen Plastikbeutel vom Frühstück in der Tasche… » Er zog ihn aus dem Jackett. «Gib mir mal bitte dein Taschenmesser…»
    Mannhardt kratzte, etwa einen Meter von der Druckstelle entfernt, Farbe und Mörtel von der Wand. «So! Ich bring das Zeug zum Labor; du holst bitte das Messer aus dem Krankenhaus, falls es noch keiner abgeholt hat, und kommst dann nach. Das heißt – nee: Du wartest sicherheitshalber hier, bis ich die Leute von der Spurensicherung alarmiert habe. Wer weiß… Also, bis dann!»
    Anderthalb Stunden später, als sie voller Ungeduld und Unmengen von Kaffee trinkend, in ihrem Büro saßen, kam das Ergebnis aus dem Labor: Mannhardt hatte recht, hatte doppelt recht, weil auch, wie die Ärzte im Urban-Krankenhaus bestätigten, der Verlauf der Stichwunde darauf schließen ließ, daß sich Zumpe das Messer selber in den Rücken gedrückt hatte.
    «Du bist schon ein Genie», sagte Koch. Ehrliche Anerkennung, als Ironie getarnt.
    «Nicht Genie, sondern Gedächtnis.» Mannhardt warf ihm ein Heft der Kriminalistik auf den Tisch. «Heft 2, Februar 1970. Lies mal den Artikel auf Seite 85…»
    Koch blätterte, suchte. «Ein Mordversuch? Von Dr. jur. Karl Ender, Polizeipräsident, Wiesbaden…?»
    «Genau. Da hat ein 16jähriges Mädchen in Wiesbaden dasselbe versucht.»
    Koch sah ihn an. «Und was nun?»
    «Damit kriegen wir totsicher einen Haftbefehl gegen Zumpe.»
    «Meinst du, er legt ein Geständnis ab?»
    «Mal sehen. Wir fahren jedenfalls nachher ins Krankenhaus – vorausgesetzt, er ist vernehmungsfähig.»
    «Na schön, ich bereite alles vor.»
    Gegen 19 Uhr standen sie im Urban-Krankenhaus am Bett von Zumpe. Hager und von gelblicher Gesichtsfarbe war er schon immer gewesen, doch nun starrte ihnen eine Mumie entgegen. Auf einmal erschien es Mannhardt unsagbar grausam, ihm die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Dieser Mensch hier brauchte Pflege, Hilfe, Liebe – und nicht zwanzig Jahre Haft. Mannhardt spürte einen starken Impuls, alle Akten zu verbrennen und Zumpe zu retten. Andererseits war ihm klar, daß es einzig und allein die erfolgreiche Aufklärung des Falles Ossianowski/Zumpe war, die ihn selber rettete – ohne sie hätte ihn Dr. Weber völlig fertiggemacht… Scheißspiel. Natürlich stand er nicht wirklich vor einer Alternative. Aber er war zugleich froh, daß er nicht zu entscheiden brauchte. Dabei kam ihm in den Sinn, daß vermutlich mancher kleine SS-Mann in gewissen Situationen etwas Ähnliches gedacht haben mochte… Der liebe Gott, wenn es den wirklich gab, würde eines Jüngsten Tages auch
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