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Ein Toter fuehrt Regie

Ein Toter fuehrt Regie

Titel: Ein Toter fuehrt Regie
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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zurückeilte.
    Die Gründe, weswegen ich mich an Zumpe zu rächen habe, liegen auf einer ganz anderen Ebene. Als wir gemeinsam in der Haus- und Grundstücksverwaltung arbeiteten, beschwerten sich die Schwimmeister eines an unser Werk I angrenzenden Freibades, unsere nahe am Beckenrand stehenden Linden bewirkten mit ihren herabfallenden Blättern eine unaufhörliche Verunreinigung des Wassers, so daß ihre Abholzung dringend zu empfehlen sei. Zumpe als mein damaliger Vorgesetzter traf seine Entscheidung im Einvernehmen mit dem Abteilungsleiter auch tatsächlich dahingehend, ließ mich aber, da er vorher verreisen mußte, das Schriftstück unterschreiben, das die Holzfällerkolonne in Marsch setzte. Die vier Linden wurden der Anordnung entsprechend gefällt, was binnen weniger Stunden zu geharnischten Protesten der Bevölkerung führte und die Presse zu bissigen Kommentaren bewog. Da schob Zumpe alle Schuld auf mich und behauptete, ich hätte eigenmächtig und gegen seinen Willen so gehandelt, was mir den Beinamen ‹Der Lindenkiller von Lichterfelde› eintrug. Die Leute kannten mich, Schmähbriefe wurden verfaßt, und ich war mannigfaltigen Beschimpfungen ausgesetzt: der Ossianowski kann eben nur Rotbuchen leiden und keine Linden.
    Kuhring habe ich nichts geringeres vorzuwerfen, als daß er mich im vorigen Jahr, als ich im Januar von K 4 nach K 5 befördert wurde, in einmaliger Weise bloßgestellt und blamiert hat. Zu meiner Beförderungsfeier hatte ich ein Dutzend Kollegen und Kolleginnen einladen müssen – der Brauch verlangte es so, und ein Vergehen dagegen hätte nur zu einer noch stärkeren Ächtung geführt. In meiner Abneigung gegen allen Alkohol und das Betrunkensein verdünnte ich die Schnäpse, die ich notgedrungen trinken mußte, indem ich reichlich Selterswasser zu mir nahm. Kuhring gelang es nun, im Verlaufe des Abends diesem Mineralwasser unbemerkt von mir mehr und mehr Wodka und Gin zuzusetzen, so daß ich bald völlig betrunken war und jede Kontrolle über mich verlor. Wie ich später erfahren habe, bin ich irgendwann auf den Tisch gesprungen, habe einen herumstehenden Sektkübel wie einen Pokal geschwungen und gebrüllt: I am the Greatest! Dabei – jemand wird nachgeholfen haben – rutschten mir Hose und Unterhose auf die Knie hinunter, und dieser Anblick ließ die Anwesenden in einen frenetischen Jubel ausbrechen. Wochenlang quälten sie mich mit ‹witzigen› Kommentaren über meine Anatomie im allgemeinen und meine Geschlechtsteile im besonderen. Ich war endgültig zum Narren geworden.
    Am meisten aber habe ich Dr. Brockmüller zu verdammen, denn oftmals glaubte ich seinen freundlichen Worten Mitgefühl und Verständnis entnehmen zu können, würde aber um so bitterer enttäuscht, wenn sich das alles als Heuchelei herausstellte und er der intellektuelle Urheber eines neuen Scherzes war, den ich erdulden mußte. Worauf Kuhring und Zumpe nie gekommen wären, ihm fiel es ein; und waren sie ausnahmsweise mal friedlich, er stachelte sie an. Davon abgesehen hat er mich auch in einzigartiger Weise lächerlich gemacht, als er unter Mißbrauch seines zeichnerischen Talents eine Skizze anfertigte, auf der ich mit meinem unproportionierten Körper zu sehen war, wie ich, rot angelaufen und schwitzend, mit einem gewaltigen Glasfiberstab die Höhe von 1,10 Meter meistere und die Zuschauer ringsum mit der Sprechblase «Weltrekord!» im Munde die Arme hochrissen. Diese meisterliche Kohlezeichnung wurde in einem Schnellhefter gelegt und lief – bis fast hinauf zum Generaldirektor – durch die ganze E UROMAG , von allen abgezeichnet. Ich war noch mehr gebrandmarkt.
    Soweit die Gründe, die meiner Rache ihre Berechtigung geben. Was immer die vier auch unternehmen, mein Wille wird geschehen.

4
     
     
     
    Fräulein Lux fegte mit hektischen Bewegungen die Glasscherben zusammen, entfernte auch den kleinsten Splitter vom Linoleumboden, indem sie mit dem feuchten Zeigefinger mal hierhin und mal dorthin tippte; ab und zu verlor sie die Hälfte des Aufgefegten von der Schaufel, weil sie zitterte, und begann von Neuem. Ihre Bluse war schon durchgeschwitzt. Das Beruhigungsmittel, das sie bekommen hatte, begann nur allmählich zu wirken. Ansonsten war sie, da sie im Augenblick der Explosion hinter dem kleinen Mauervorsprung gesessen hatte, der beim Umbau als Rest einer Zwischenwand zurückgeblieben war, als einzige unverletzt geblieben.
    Kuhring stand am Fenster und sah auf den Parkplatz hinaus, wo inzwischen ein
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