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Ein Toter fuehrt Regie

Ein Toter fuehrt Regie

Titel: Ein Toter fuehrt Regie
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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freiwillig aus dem Leben scheiden wollte, keine Möglichkeit außer acht gelassen.
    Rings um den Rand der Platte zog sich eine Autobahn, die rechts unten in einer Landstraße auslief. Da gab es genügend Bäume, Mauern und Brückenpfeiler, gegen die man seinen Wagen lenken konnte. Einige von Owis Figuren hatten es bereits getan. Andere standen auf einer Brücke, um sich vor die heranbrausenden Lastzüge zu stürzen. Innerhalb der Autobahn verlief das Oval einer zweigleisigen Bahnstrecke, die potentiellen Selbstmördern sowohl die Gelegenheit bot, sich vor einen der Züge zu werfen als auch aus einem der Abteile zu springen. Durch die Luft wirbelnde Körper – geschickt an fast unsichtbaren Fäden befestigt – und verschiedentlich neben ödem Gleiskörper liegende, gräßlich verstümmelte Männer und Frauen zeigten an, daß man von diesem Angebot reichlich Gebrauch machte. Arbeiter in blau-weiß gestreiften KZ-Uniformen karrten menschliche Kadaver zum Krematorium, das links unten lustig qualmte. Winzige Urnen standen zum Abholen bereit. Daneben zog sich ein langgestreckter See hin, der in einen Fluß mit einigen Stromschnellen auslief. Es gab Brücken und Stege genug, von denen aus ein Sprung ins Wasser möglich war. Im Schilf treibende Wasserleichen bewiesen, daß auch hier richtig kalkuliert worden war. Nebenan auf einem kleinen Sprengplatz jagte sich gerade ein nackter Jüngling in die Luft. Weiter rechts ein kleiner Wald; an den starken Ästen hochstämmiger Bäume hing eine Handvoll Personen beiderlei Geschlechts. Die Kolonne, die die Toten zu bergen hatte, kam überhaupt nicht nach. Hier hatte Owi als Systemplaner versagt. Allerdings war sein Selbstmord-Center auch ziemlich überlaufen; fast so wie der Berliner Zoo an einem schönen Frühlingstag.
    Krönung des Ganzen aber war das zwölfstöckige Hochhaus am linken oberen Rand der Anlage, dessen Vorderfront Owi weggelassen hatte, so daß man ins Innere der einzelnen Stockwerke sehen konnte. Das flache Dach war nur mit einer niedrigen Brüstung versehen und bot sich geradezu an, um von hier in die Tiefe zu springen. Tatsächlich setzte gerade ein Mann zum Sprung an, und unten waren zwei zerschmetterte Frauenkörper zu erkennen. In sämtlichen Räumen waren Menschen (maßstabgetreu!) emsig und zielstrebig damit beschäftigt, sich vom Leben zum Tod zu bringen oder doch ihren Selbstmord vorzubereiten, und zwar mit beachtlichem Erfindungsreichtum: Neben Schußwaffen, Giftstoffen (gasförmig und flüssig), Hochspannungsleitungen und altmodischen Rasiermessern gab es eine Selbstverbrennungsanlage und eine automatische Guillotine.
    Die Empfangshalle unten hätte jedem internationalen Konzern Ehre gemacht. Eine mit goldenen Buchstaben verzierte Tafel verkündete Sinn und Zweck dieses Hauses:
     
    Befreie die übervölkerte Erde von der Last Deiner Existenz.
    Befreie Dich selbst von der Last Deines Lebens.
    Morde Dich selbst und bleibe rein, ehe die Menschen Dich
    zum Mörder anderer machen.
     
    «Ein schöpferischer Mensch», grinste Koch.
    «Ein krankes Hirn», sagte Mannhardt heiser.
    In diesem Augenblick entdeckte er Owis Abschiedsbrief.
    Ein schmaler Umschlag lag auf dem Dach des Hochhauses; sie hatten ihn zuerst in dem abstrusen Durcheinander nicht registriert: Ein Kuvert mit der Aufschrift A BSCHIEDSBRIEF sollte in einem Selbstmord-Center nichts Ungewöhnliches sein.
    Ossianowski hatte sich zwar kurz gefaßt, aber deswegen nicht weniger deutlich:
     
    Viele Menschen haben mich zu dem gemacht, was ich bin, zum Fußabtreter, aber nur wenige haben es so vollkommen getan, wie meine vier Kollegen in der Sondergruppe für Systemplanung. Ich bin in den Tod gegangen, weil ich dieses Leben nicht mehr ertragen konnte. Mein Körper ist starr und kalt. Aber ich werde mich an den vieren rächen, die mir das alles angetan haben. Noch in dieser Woche werden sie mir folgen, Sprengkörper werden sie zerreißen, wo immer sie sich aufhalten. Die ganze Welt kann ich nicht vernichten, aber die lieben Kollegen Kuhring, Zumpe, Brockmüller und Lux. Mein Einfallsreichtum ist grenzenlos.
    Amen!
     
    Mannhardt stand wie erstarrt; selbst Koch war das Grinsen vergangen. Sie glaubten Ossianowskis Anwesenheit im Raum zu spüren. Dieses Haus hatte sie für Augenblicke zu verschreckten Kindern werden lassen.
    Mannhardt faßte sich als erster und rannte die Treppe hinauf zum Telefon.

3
     
     
     
    Sehr verehrter Herr Kommissar!
    Verzeihen Sie, daß ich diese floskelhafte Anrede gebrauche und
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