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Ein Sommer und ein Tag

Ein Sommer und ein Tag

Titel: Ein Sommer und ein Tag
Autoren: Allison Winn Scotch
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Filmstar.
    «Habe ich dich im Flugzeug erkannt?»
    «Vielleicht.» Er zuckt wieder mit den Achseln. «Wir haben nicht darüber gesprochen, und dann, na ja, dann bin ich weggedöst.» Ich versuche mir das vorzustellen: ich, die zitronensaure Frau vom People -Titelblatt, die sich in der First Class an den Schauspieler ranmacht. Das Bild lässt sich beim besten Willen nicht heraufbeschwören. Ich versuche es mit meinem fabelhaften Ich. Ja. Schon besser.
    Ich seufze. «Ich werde vermutlich auch noch eine Weile hierbleiben. Auch wenn ich nicht glaube, dass ich etwas annähernd so Glamouröses verpasse wie ein Film-Set.»
    «Jetzt verkauf dich mal nicht unter Wert – du warst unterwegs, um dich mit einer neuen angesagten Künstlerin zu treffen.» Er schüttelt den Kopf. «Der Name fällt mir auch nicht mehr ein: Harmony oder Faith vielleicht? Irgendwas Hippiemäßiges jedenfalls.»
    Meine Mutter hatte etwas Ähnliches angedeutet – die Kunstgalerie. Ich lasse diese Vorstellung in meinem Kopf herumspuken; es klingt überzeugend. Weder unangenehm noch unpassend und auch nicht nach etwas, das mein fabelhaftes Ich nicht tun würde, um die Welt im Sturm zu erobern.
    «Ich hatte dir versprochen, in deiner Galerie vorbeizuschauen, um etwas zu kaufen, wenn ich das nächste Mal in New York bin», greift Anderson das Gespräch wieder auf.
    «War das ein echtes Versprechen oder eher geflirtet?», will ich wissen, und er senkt in gespielter Verlegenheit den Kopf und grinst. Er ist bereits jetzt leicht für mich zu durchschauen. Ich lächle zurück. «Ich bin verheiratet.»
    Er zuckt mit den Achseln. «Das klang ziemlich kompliziert.»
    Kompliziert? Entschuldigung, ich kann mich nicht erinnern!
    «Mal abgesehen davon», sage ich, «wie alt bist du eigentlich? Zweiundzwanzig?»
    «Achtundzwanzig. Ich hab mich gut gehalten.» Er atmet auf. «Hör mal, du siehst müde aus. Ich verschwinde jetzt besser wieder. Ich wollte nur so bald wie möglich kurz bei dir reinschauen und mich bedanken.»
    Meine Augen sind schwer, und ich lasse ihn mit dem Versprechen ziehen, am nächsten Tag wiederzukommen. Die Schwester will ihn zurückschieben. Vorher legt er mir noch schnell die People -Ausgabe hin, gleich neben das Fotoalbum, das voll ist mit den Gesichtern von Fremden. Kurz bevor ich wegdämmere, denke ich darüber nach, wie es möglich ist, dass ich mich an keine einzige Sekunde, nicht an den winzigsten Schnipsel meines früheren Lebens erinnern kann, obwohl dieses Leben offensichtlich ausnehmend gut dokumentiert ist.

    Am vierten Tag bei Bewusstsein und anderthalb Wochen nach dem Flugzeugabsturz habe ich mich sämtlichen Tests unterzogen, die es gibt: Kernspin- und Computertomographie, Interviews mit dem hauseigenen Seelenklempner, einem Sauerstofftest, einem Kein-Plan-wozu-der-gut-gewesen-sein-soll-Test, dem Wie-viele-Präsidenten-können-Sie-aufzählen-Test (null, aber Peter hat den Psychologen freundlicherweise darauf aufmerksam gemacht, dass Geschichte noch nie zu meinen Stärken gehörte). Wir sind der Ursache für meinen Gedächtnisverlust jedoch keinen einzigen Schritt näher gekommen.
    Auch körperlich bin ich eine Anomalie, eine Gleichung ohne Lösung. Heute wurde die Halskrause entfernt, allerdings ist mein linkes Handgelenk immer noch gebrochen und geschient, auch sind ein paar Rippen übel geprellt und sorgen dafür, dass jede zu schnelle Bewegung von einem stechenden Schmerz quittiert wird. Aber trotzdem bin ich im Großen und Ganzen – vernachlässigt man die Striemen in meinem Gesicht und ein paar langsam verheilende Abschürfungen – erstaunlich ganz geblieben. Mit Ausnahme meines Gehirns natürlich. Abgesehen davon bin ich so gut wie heil.
    Meine Mutter hat mir Kristalle neben das Bett gelegt – Heilkristalle , sagt sie, als überträfe ihre Weisheit die der mit Abschlüssen in moderner Medizin bewaffneten Armee hier im Haus – und mir endlos viele Dias vorgeführt. Aber von meinen zweiunddreißig Jahren Lebenserfahrung ist immer noch nichts zurückgekehrt. Ich frage nach meinem Vater – wo ist er? – und bekomme zur Antwort, dass wir ihn verloren hätten, als ich noch ein Teenager war. Dass er früher ein berühmter Maler war, aber schon lange gegangen ist. Meine Mutter beruhigt mich und verspricht mir, alles zu erklären, sobald ich wieder kräftiger geworden und dazu bereit bin.
    Gestern ist Samantha angekommen, meine kaum merklich anorektische Zimmergenossin aus dem College, deren brauner Haaransatz schon etwas zu
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