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Ein Sommer und ein Tag

Ein Sommer und ein Tag

Titel: Ein Sommer und ein Tag
Autoren: Allison Winn Scotch
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über den Weg gelaufen sind oder dass ich im Kunstseminar einen so charismatischen Eindruck hinterlassen habe, dass sie einfach meine Bekanntschaft machen musste, oder dass ich einfach so über den Campus spazierte und dieses gewisse Etwas ausstrahlte, eine magnetische Anziehungskraft, der sich niemand widersetzen konnte. Doch noch ehe Samantha mir unsere Geschichte erzählt, noch ehe ich damit fertig bin, mir selbst all diese Dinge einzureden, weiß ich schon, dass es nicht stimmen wird. Dass das Gesicht vom People -Titelblatt mit dem Stirnrunzeln und den ins Gesicht gegrabenen Mundwinkeln mit Sicherheit kein gewisses Etwas besaß. Gut möglich, dass sie nicht mal ahnte, was das gewisse Etwas überhaupt bedeutet.
    «Ach, eine lustige Geschichte», sagt Sam. «Wir haben uns in der ersten Semesterwoche kennengelernt. In der Frühstücksschlange in der Kantine. Keiner von uns kannte jemanden, zu dem wir uns hätten setzen können. Als wir dann beide gleichzeitig nach dem Frosties-Karton griffen, haben wir uns eben zusammengesetzt.»
    «Nicht gerade der Stoff, aus dem Helden gemacht sind.»
    «Nein.» Sie lacht. «Aber dafür haben wir danach eine Ewigkeit Die sind groooßartig ausgeschlachtet.» Ich sehe sie verständnislos an, lächele gezwungen. «Ein Insider-Witz. Tony der Tiger. Das erzähle ich dir ein anderes Mal.»
    In der ersten Woche erscheint Peter jeden Morgen pflichtschuldig, um ein frisches Sträußchen Margariten in die Vase auf dem Fensterbrett zu stellen.
    «Das sind deine Lieblingsblumen», erklärte er mir, als er das erste Mal mit einem Strauß hereinkam.
    «Tatsächlich?» Kaum zu glauben, dass es jemanden gibt, der Margariten als Lieblingsblumen hat.
    «Na ja», gab er zu. «Ursprünglich nicht. Aber dann habe ich dir zu unserem ersten Date welche mitgebracht, und so wurden sie zu was Besonderem für uns.» Er lachte, aber es klang eher wie ein Schluckauf. «Ich hätte wahrscheinlich wissen müssen, dass dir etwas Elegantes, Perfektes, Langlebiges lieber gewesen wäre. Aber, na ja, weil du eben so bist, wie du bist, hast du einfach nur gesagt, wie sehr sie dir gefallen. Du wolltest zu diesem Dorftrottel, der mit billigen Blumen vor deiner Tür stand, nicht unhöflich sein. Das hast du mir aber erst ein Jahr später gestanden, und zu dem Zeitpunkt mochtest du Margariten dann tatsächlich.» Er zuckte mit den Achseln. «Was anderes konnte ich mir damals nicht leisten.»
    «Und was hatte ich für Lieblingsblumen? In Wirklichkeit, meine ich?» Ich stellte es mir vor, versuchte es zumindest: er, fünf Jahre jünger, ohne den sorgenvollen Zug in seinem bleichen Gesicht, wie er probiert, mich mit Margariten zu betören. Ich: ebenfalls fünf Jahre jünger, ohne eine Ahnung, was das Leben noch für mich bereithält, mag ihn so sehr, dass ich ihm erlaube, mich tatsächlich mit besagten Margariten zu betören. Ich lächelte. Es war fast niedlich, zumindest wenn man nicht weiß, was danach kommt, wenn man von unserer jetzigen Entfremdung absieht. Doch selbst dann – es war trotz allem niedlich. Seine Ungeschicklichkeit in Sachen Blumen und mein Feingefühl, ihn wegen dieser Ungeschicklichkeit nicht bloßzustellen. Ich muss ihn tatsächlich gemocht haben, muss regelrecht von ihm bezaubert gewesen sein. Obwohl er mir viel zu groß für mich vorkam, als müsste ich mich auf Zehenspitzen stellen, um ihn zu küssen, und viel zu breit, als könnte er mich eines Nachts im Schlaf versehentlich zerquetschen, bekam ich dank meiner soeben neu erschaffenen, subjektiven Erinnerung ein weiches, nachgiebiges Gefühl.
    Mein Ehemann . Ich hatte mich immer noch nicht an ihn gewöhnt, an diese eigenartige Vorstellung, dass wir verheiratet sind. Aber wenn mein früheres Ich ihn geliebt hat, würde ich einen Weg finden, ihn ebenfalls zu lieben.
    Er verzog nachdenklich das Gesicht. «Wie heißen die gleich wieder? Ach, ja. Hyazinthen. Hat was mit ihrem Duft zu tun. Erinnern dich an deine Kindheit. Ich mache mich auf die Suche und bringe dir morgen welche mit. Vielleicht hilft das.»
    «Ja, vielleicht.» Wir sahen uns beide hoffnungsvoll an, als wären Hyazinthen vielleicht die Lösung.
    Wenn dann schließlich alle wieder gegangen sind, schlafe ich und versuche mich zu erinnern . Aber da ist nichts, es gibt nichts zu erinnern, und nach einer Weile bekomme ich das Gefühl, ein Körperteil zu benutzen, das nicht mit mir verbunden ist. Wie nennt man dieses Phänomen noch? Ein Phantomglied. Das trifft es haargenau. Wie kann ich einen
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