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Ein Sommer mit Danica

Ein Sommer mit Danica

Titel: Ein Sommer mit Danica
Autoren: Heinz G. Konsalik
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atmete tief durch, sog die Luft durch den weit geöffneten Mund und krallte sich die Bergwand empor. Sieben Meter, sieben verfluchte Meter! Sieben Schritte nur auf ebenem Boden … aber sieben Höllen über einem Abgrund …
    Er schaffte es, rollte oben auf die Straße und blieb erschöpft liegen.
    Sie war ihm sofort nachgeklettert, wie eine Katze, die sich an einem Baumstamm hinaufkrallt, stützte ihn, als er sich mühsam aufrichtete und mit zitternden Beinen einen Schritt versuchte, und sagte mit einer völlig veränderten Stimme, die jetzt weich und viel dunkler klang: »Sascha, du hast doch Schmerzen …«
    »Nein! Verdammt nein!« Er wollte stark sein, begann zu gehen, schwankte über die Straße zu dem kleinen Fiat, der hart am gegenüberliegenden Straßenrand mit vollem Licht abgestellt war, hielt sich dann am Dach fest und bemühte sich, nicht in den Knien einzuknicken.
    Als er endlich auf dem Sitz hockte, hatte er Zeit, sich um seine Schmerzen zu kümmern. Im Rücken ist etwas, dachte er. Und in der linken Hüfte. Unterhalb des Nackens klebt das Hemd an mir, und das ist keine Regennässe. Das linke Bein beginnt, taub zu werden. Einen Augenblick lang erinnerte er sich an den Fall Brenner, der vor zwei Jahren zu ihm in die Praxis kam, fröhlich, die Hälfte des Lenkrades seines Autos in der Hand und gesagt hatte: »Doktor, auf dem Hohenzollernplatz gibt es sechs Bäume, die stehen in der Mitte in einem Kreis … und genau die muß ich treffen. Mir ist nichts passiert als ein paar Schrammen. Sehen Sie mal nach …« Und Brenner hatte sich auf das Untersuchungssofa gelegt und war nicht wieder aufgestanden … während des Ganges zum Arzt und beim Hinlegen war der angebrochene Rückenwirbel völlig auseinandergefallen und hatte die Nerven abgequetscht. Brenner fuhr jetzt in einem Rollstuhl herum und verstand die Welt und die Medizin nicht mehr.
    »Was jetzt?« fragte Corell. Danica ließ den Motor an.
    »Wir fahren zum Krankenhaus, und dann verständige ich die Miliz.«
    »Das Krankenhaus können wir sparen.«
    »Du mußt untersucht werden, Sascha.«
    »Das kann ich allein. Wozu bin ich Arzt? Die Miliz rufen wir an, sie sollen den Wagen verschrotten.«
    »Und dein Gepäck?«
    »Es ist nur ein Koffer. Ein kleiner Koffer.«
    »Für eine so lange Reise?«
    »Ja –«, sagte er knapp.
    »Wo wohnst du?«
    »In Piran.«
    »In Piran …«
    Sie fuhr langsam an, als habe sie Angst, jede Erschütterung könne ihn noch mehr verletzen. »Du kennst Piran?« fragte sie.
    »Ich war vor langer Zeit einmal dort. Es wird heute alles ganz anders aussehen. Damals war es ein kleiner, armer Fischerort …«
    »Heute leben wir vom Fremdenverkehr. Mein Vater hat einen Andenkenladen.«
    »Mit bunt bemalten Gondeln, Eselchen aus Kastanienholz, Filz-Opanken, Ketten aus Apfelkernen …«
    »Postkarten, Bildmäppchen, geschnitzten Löffeln, kleinen türkischen Kaffeekännchen, gestickten Blusen, handgeklöppelten und gehäkelten Spitzendeckchen, Hirtenflöten –«
    »Auf einer Hirtenflöte habe ich einmal ein Lied blasen können«, sagte Corell. »Ein richtiges serbisches Hirtenlied. Aber ich habe es vergessen. Es ist zu lange her …« Er lehnte sich zurück und schloß die Augen.
    Das helle Brummen des Motors, das Schaukeln des Wagens schläferten ein. Er verzichtete darauf, sich weiter zu zwingen, wach zu bleiben. Jetzt kriecht die Lähmung in mir hoch, dachte er. Arme Danica … du wirst mich aus dem Wagen heben müssen, wenn wir angekommen sind. Wo angekommen? Bei der Miliz? Oder fährt sie mich doch zum Krankenhaus? Vielleicht schafft sie mich nach Piran. Es ist doch alles so sinnlos …
    Corell tastete schläfrig zur Seite. Seine Hand fand einen Teil von Danicas Körper, es war ihr Oberschenkel, er spürte den glatten, festen Muskel deutlich unter seinen Fingern. Es tat gut, die Nähe dieses jungen Körpers beruhigte ihn, und er schlief ein.
    *
    Dieses Mal ohrfeigte sie ihn nicht, um ihn aufzuwecken. Corell erwachte, weil eine tiefe männliche Stimme nahe an seinem Ohr sagte:
    »Wir müssen ihn herausheben.«
    Es waren slowenische Worte, er verstand sie nicht, aber sie weckten ihn. Er wehrte die Hände ab, die nach ihm griffen und stemmte sich aus seiner halb liegenden Haltung in den Sitz hoch.
    »Er kann sich bewegen!« rief Danica. »Sascha … kannst du aussteigen? Wir helfen dir heraus …«
    Der Wagen stand in einer dunklen engen Straße vor einem grauen Steinhaus. Aus der offenen Tür fiel ein schwacher Lichtschein. Danica, ein
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