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Ein Sommer mit Danica

Ein Sommer mit Danica

Titel: Ein Sommer mit Danica
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dann herumgeschleudert und blickte noch einmal in diesen farblosen Himmel, auf die jetzt wie von Wellen überfluteten Berghänge … dann wurde alles um ihn herum schwerelos, und er wußte, daß er durch die Luft flog.
    Ich wollte sterben, dachte er, aber nicht so, nicht so! Und ich wollte vorher noch einmal Pula sehen, ich wollte so vieles tun … Gott im Himmel, du bist mir zuvorgekommen. Ich danke dir nicht dafür …
    Er fühlte den Aufprall, hörte noch das Kreischen des zerplatzenden Bleches, die Hupe begann völlig idiotisch zu heulen, etwas Heißes spritzte über ihn, und erfüllte ihn mit Grauen: »Nicht verbrennen!« schrie er grell. »Nicht verbrennen! Nicht!!« Dann setzte sein Gehirn aus, und das letzte, was er dachte, war nacktes Entsetzen.
    Der Regen rauschte weiter, in der Ferne schäumte das Meer, die Menschen verkrochen sich … die Bora war eingefallen, ein Sturm, wie seit Jahren nicht, unerwartet, mörderisch. Häuser wurden abgedeckt, Wälder eingeknickt, Steinstürze sperrten die Straßen.
    Feuerwehr, Miliz und Militär wurden alarmiert. Am Abend überblickte man das Ausmaß der Katastrophe … sieben Tote, dreiundvierzig Verletzte, siebenundzwanzig zerstörte Häuser, zahlreiche blockierte Straßen. Die vernichteten Gärten zählte man gar nicht. In Köper trat ein Katastrophenrat zusammen, von Ljubljana rollten Räumfahrzeuge nach Süden zur Küste.
    Sie fuhren im strömenden Regen auch an der Stelle vorbei, an der die Bora einen deutschen Wagen den Hang hinabgerissen hatte. Niemand sah ihn, denn das Auto hing zwischen zwei verkrüppelten Zedern im toten Blickwinkel von der Straße, es hing sicher und unbeweglich über einer dann beginnenden senkrechten Tiefe von fast hundert Metern, und es sah aus, als seien die beiden Krüppelzedern zwei große, schwielige Hände, die es festhielten.
    *
    Er erwachte, weil jemand über sein Gesicht strich. Dann merkte er, daß es kein Streicheln war, sondern jemand ihn regelrecht ohrfeigte, mit aller Kraft, immer und immer wieder. Klatsch-klatsch … links-rechts … eine gemeine, aber wirksame Art, jemanden aufzuwecken.
    Er öffnete mühsam die Augen und sah zunächst nichts als die schlagende Hand.
    »Aufhören!« stöhnte er. »Verdammt, aufhören! Ich bin wach!«
    Die Hand wurde weggezogen. Statt ihrer tauchte ein Kopf mit einem flatternden Tuch auf, er blickte in ein nasses Gesicht, um das die Haare klebten wie schwarze Striemen, und eine für diese schlagende Hand viel zu sanfte Stimme sagte: »Endlich antworten Sie …«
    Er lag ganz still, spürte keinerlei Schmerzen, nur das unangenehme Gefühl, völlig durchweicht zu sein. Eine Frau, dachte er. Oder ein Mädchen. Seit wann gibt es im Himmel Engel mit Kopftüchern? Das hat noch keiner von der Kanzel gepredigt.
    »Haben Sie Schmerzen?« fragte sie. Eine helle, aber in der Betonung der Worte slawisch harte Stimme. Er schüttelte den Kopf und wunderte sich, daß das möglich war. »Nein. Wieso sprechen Sie deutsch?«
    »Ihr Wagen hat eine deutsche Nummer.«
    »Wo bin ich eigentlich?«
    »Unterhalb der Straße. Mit dem Kopf liegen Sie im Gras, mit den Beinen in einem Baum.«
    Er versuchte zu lächeln, – wie sie es aussprach, war es fast ein Scherz. »Verzeihen Sie«, antwortete er. »Ich möchte betonen, daß dies nicht meine normale Lage ist. Wo ist mein Wagen?«
    »Zwei Meter unter Ihnen zwischen zwei Bäumen. Können Sie sich bewegen? Halt! Seien Sie vorsichtig. Wenn Sie mit den Füßen den Baum verlassen, stürzen Sie ab. Ich kann Sie nicht halten. Sie sind zu schwer.«
    »82 Kilo …« Er blieb ganz steif liegen, als ahne er die Gefahr. »Was muß ich tun?« fragte er.
    »Ich fasse Sie unter beide Achseln, und dann stoßen Sie sich von dem Baum ab. Gleichzeitig ziehe ich. Das müßte gehen … Der Vorsprung ist groß genug.«
    »Und wenn es schiefgeht?«
    »Dann stürzen Sie ab.«
    »Und ich reiße Sie mit, nicht wahr?«
    »Vielleicht.«
    »Das ist mir zu unsicher.«
    »Sie können nicht mehr lange so in der Luft schweben.«
    Sie verschwand aus seinem Gesichtskreis, packte ihn unter die Achseln, dann tauchten neben ihm, rechts und links, zwei schlanke, schwarze Stiefel auf und bohrten sich mit den Absätzen in den aufgeweichten Boden. »Los!« sagte sie.
    »Halt!« Er schob die Hände höher und legte sie auf die Stiefel. Der Regen hatte aufgehört, aber der Wind war noch heftig. Ihr Kopf erschien wieder über ihm, dieses Mal ohne Kopftuch, ein schöner, schmaler, junger Kopf mit großen Augen.
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