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Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben

Titel: Ein seltsamer Ort zum Sterben
Autoren: Derek B. Miller
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Basis für ein Kind.

    Rhea nippt an ihrem Milchkaffee und schaut zu Lars hinüber, der die Titelseite der
Aftenposten
liest. Irgendwas über die Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien vor ein paar Monaten. Irgendwas über Brad Pitt. Irgendwas über kohlenhydratarme Ernährung.
    Nein, sie hat Lars nicht erzählt, dass sie versucht, schwanger zu werden. Irgendwie war es nicht notwendig. Als wisse er Bescheid. Oder als müsse er es nicht wissen, weil sie doch verheiratet sind. Was in New York mit großem Tamtam begrüßt worden wäre, beschränkte sich hier auf eine Umarmung und seine Finger, die ihr durchs Haar fuhren und es schließlich umfassten.
    Während Lars die Zeitung wie ein normaler Mensch liest, hält Sheldon einen Bogen gegen das Licht, als suche er nach Wasserzeichen. Rhea ist wie immer nicht klar, was das zu bedeuten hat. Ob er wie ein Kind um Aufmerksamkeit buhlt, ob das einfach nur ein altersbedingtes Verhalten ist oder ob er gerade einer Tätigkeit nachgeht, die auf den ersten Blick vielleicht kindisch und senil wirkt, aber eigentlich vollkommen logisch ist. Wenn die drei Faktoren zusammenkommen – seine Persönlichkeit, seine augenblickliche Situation, sein Verstand –, ist es unmöglich, sie voneinander zu unterscheiden. Es ist Sheldons dritte Woche in Norwegen. Sie wollten, dass er hierherkam. Sich in seinem neuen Leben einrichtete. Ihnen allen war klar, dass es dann kein Zurück mehr geben würde. Sheldon war zu alt, die Wohnung in Gramercy war verkauft, er hätte nirgendwo mehr hingehen können.
    «Vergiss es. Ich werde nicht anbeißen», sagt sie.
    «Hm?»
    Lars und Sheldon heben beide die Zeitung ein Stück an – der eine, um sich zu verstecken, der andere, um zu provozieren.
    «Ich sagte, ich werde nicht anbeißen, du Spinner. Ich will überhaupt nicht wissen, weshalb du das Zeitungspapier nach dem Da-Vinci-Code absuchst.»
    «Norwegisch klingt wie rückwärts gesprochenes Englisch. Ich will rausfinden, ob es sich auch so liest. Das kann ich überprüfen, indem ich die Zeitung gegen das Licht halte und den Artikel auf der anderen Seite lese. Aber die Wörter auf dieser Seite der Zeitung versperren mir die Sicht auf die andere Seite, daher kann ich es doch nicht mit Sicherheit sagen.»
    «Das Wetter wird wieder schön», murmelt Lars.
    «Ich finde, wir sollten rausgehen. Papa, was hältst du von einem Spaziergang?»
    «Oh, na sicher, das würde denen so passen, nicht?»
    «Den Koreanern?»
    «Du hast das mit einem Unterton gesagt. Ich habe das schon mitgekriegt.»
    Rhea stellt ihre leere Tasse in die Spüle und lässt sich kaltes Wasser über die Finger laufen. Sie wischt sie an der Jeans ab.
    «Wir müssen dir was sagen.»
    «Sagt es mir hier.»
    «Ich möchte lieber nach draußen.»
    «Ich aber nicht. Mir gefällt es hier. In der Nähe des Essens. Das ganze Schweinefleisch. Es braucht mich.»
    «Wir könnten durch die Hintertür verschwinden.»
    Bei diesen Worten lassen beide die Zeitung sinken.
    «Es gibt hier einen Hinterausgang?», fragt Sheldon.
    «Für Fahrräder. Das wissen nicht viele Leute. Ist ein
Geheimnis

    «Gut zu wissen!»
    «Kleinigkeiten wie diese können einem das Leben retten.»
    «Du machst dich über mich lustig, ich weiß. Du machst dich über mich lustig, aber das ist mir egal. Ich bin noch ganz auf der Höhe. Ich hab noch alle Tassen im Schrank, bin verdammt helle und hab noch einiges auf dem Kasten. Und ich bin über achtzig. Das ist doch was!»
    «Also, gehen wir jetzt raus?»
    «Was ist mit euren Nachbarn los?», fragt Sheldon unvermittelt.
    «Wie meinst du das?»
    «Klingt, als ob der Faschist seine Frau schlägt.»
    «Wir haben schon öfter mal die Polizei gerufen.»
    «Also habt ihr es auch gehört!»
    «Ja.»
    «Habt ihr ein Gewehr? Lars, hast du ein Gewehr?»
    «Nicht hier.»
    «Aber du besitzt ein Gewehr, ja? Ich meine, du rennst nicht nackt durch den Wald, mit fliegendem Blondhaar, und presst das Rentier an deine blanke männliche Brust, bis es aufgibt, richtig? Kein blutiger Bartflaum am Kinn? Breites Grinsen? Da ist ein Gewehr im Spiel, oder?»
    «Ja, oben im Sommerhaus. Moses und Aaron. Sie sind in einem Verschlag bei der Sauna. Eins ist kaputt.»
    «Du hast jüdische Gewehre?»
    Lars lächelt. «Ach so, nein. Eine Winchester und eine Remington. Sie sind nach den zwei Kanonen in Drøbak benannt, die das deutsche Schiff im Krieg zum Sinken brachten. Im Fjord.»
    «Norwegen hat jüdische Kanonen für die Nazijagd?»
    «So habe ich das ehrlich gesagt noch
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