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Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben

Titel: Ein seltsamer Ort zum Sterben
Autoren: Derek B. Miller
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bisschen an die frische Luft kommst.»
    «Wusstest du, dass ich acht Kameras verbraucht habe, während ich an dem Buch arbeitete? Sechs wurden von den Modellen zerstört – die von Mario war die erste, die kaputtging –, eine ließ ich in den Hudson fallen, und eine wurde tatsächlich von einem Hund gefressen. Fand ich großartig, dass der Hund der Kamera die Schuld gab und nicht mir. Das Foto der Schnauze von innen ist auf Seite siebenunddreißig. Und da der Hund selbst auf den Auslöser gedrückt hat, habe ich natürlich ihn beim Copyright angegeben.»
    «Worauf willst du hinaus?»
    «Lustig, dass du immer glaubst, ich will auf etwas hinaus.»
    Sie stöhnt genervt. Sheldon lächelt. Lars sagt, er werde sich schon mal anziehen. Das Frühstück ist vorbei.
    Rhea ist mit Sheldon allein.
    «Was ist los mit dir? Ich habe dir gesagt, ich möchte dir gern etwas erzählen.»
    «Geh mit deinem Mann spazieren. Fahrt ins Ferienhaus. Liebt euch auf einem Bärenfell. Esst getrocknetes Elchfleisch. Trinkt
akevitt
, der ein paarmal über den Äquator geschippert ist. Jetzt, wo du einen netten Jungen gefunden hast und er dich liebt, wirst du hübsche Babys bekommen. Ich bin da, wenn ihr wieder zurückkommt.»
    «Manchmal habe ich das Gefühl, in dir steckt außer dir noch jemand anders, und dann glaube ich wieder … dass nur du dadrin bist.»
    «Nun geht schon und zieht euch an. Ich spüle mal eben meine Tasse.»
    Rhea steht noch immer mit verschränkten Armen da. Sie schaut Sheldon an, als müsse sie etwas entscheiden. Und dann, mit leiser Stimme, der ein Hauch Verärgerung beigemischt ist, sagt sie: «Ich hatte eine Fehlgeburt.»
    Ihr Großvater sagt erst einmal lange Zeit gar nichts. Sein Gesicht verliert jeden Ausdruck, er sinkt in sich zusammen, und einen Augenblick lang sieht er ganz klein und kümmerlich aus und unglaublich alt. Eine furchtbare Müdigkeit zieht ihm die Mundwinkel herab, wirft die Stirn in Falten. Sofort bedauert sie, es ihm geradeheraus erzählt zu haben. Sie hätte sich daran halten sollen, was sie mit Lars vereinbart hatte. Es ihm schonend beizubringen. Erst mal die Vorarbeit zu leisten.
    Sheldon steht da, ohne etwas zu sagen, und wickelt sich in seinen Morgenmantel. Und dann, als wären die Tränen schon die ganze Zeit da gewesen, geht er in sein Zimmer und weint hemmungslos.

    Stunden später, um zwei Uhr nachmittags, ist er allein in der Wohnung. Dass Rhea und Lars ohne ihn rausgehen sollten, hat er beim zweiten Mal ganz anders gesagt. Er hat ihnen klargemacht, dass er allein sein muss, da sind sie schließlich gegangen.
    Er hat allmählich seine Fassung zurückgewonnen und liegt nun in Jeans, einem weißen Button-down-Hemd und Arbeiterstiefeln bequem auf dem Sofa, ein Buch von Danielle Steel in der Hand, als das Geschrei wieder losgeht.
    Wie häusliche Auseinandersetzungen klingen, weiß er gut. Erst das immer wieder von neuem aufwallende Gebrüll, dann die Eskalation, das Türenschlagen, zuletzt Schläge und heftiges Schluchzen. Aber das hier ist anders. Das klingt nicht so wie sonst. Es gibt kein Hin und Her zwischen den Beteiligten. Der Mann hat angefangen zu schreien und nicht mehr aufgehört. Die Frau hat diesmal keinen Mucks von sich gegeben.
    Die muss doch da oben sein
, denkt Sheldon.
    Es gibt nicht die Pausen wie bei einem Telefongespräch. Die Tiraden der wütenden Männerstimme reißen nicht ab, sie klingen ganz nah.
    Es spielt überhaupt keine Rolle, dass Sheldon kein Wort versteht – die Botschaft ist eindeutig. Er hat genug Erfahrung mit Menschen, mit dem Ausmaß, das Wut annehmen kann, um zu wissen, was da los ist. In dieser Stimme liegen Grausamkeit und Bösartigkeit. Es ist mehr als ein Streit. Es ist ein Kampf.
    Dann hört er einen lauten Knall.
    Sheldon sitzt kerzengerade auf dem Sofa, sein Buch hat er sinken lassen. Er ist hellwach, seine Stirn ist gerunzelt.
    Nein, das war kein Schuss. Das Geräusch war nicht schneidend genug. Er weiß, wie sich Schüsse anhören, hat sie oft genug gehört, in echt und in seinen Träumen. Vermutlich ist eine Tür ins Schloss gefallen. Und dann hört er Schritte, schnell und gleichmäßig. Die Frau wahrscheinlich. Eine wuchtige Frau oder eine, die Stiefel anhat oder etwas Schweres trägt. Sie kommt die Treppe hinunter. Erst die halbe Etage, dann eine kurze Pause auf dem Absatz, schließlich die zweite Treppenhälfte.
    Sie braucht genauso lange, um durchs Treppenhaus herunterzukommen, wie Sheldon, um an die Wohnungstür zu laufen und durchs
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