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Küsse im Morgenlicht

Küsse im Morgenlicht

Titel: Küsse im Morgenlicht
Autoren: Stephanie Laurens
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    Mount Street, London 25. Mai 1825 3 Uhr früh
    Er war betrunken. Herrlich betrunken. So betrunken, wie er überhaupt noch nie in seinem Leben gewesen war. Nicht, dass er sich für gewöhnlich regelmäßig betrank, nein, das nun wirklich nicht. Es war nur so, dass die vergangene Nacht, oder vielmehr speziell dieser Morgen, ein ganz besonderer Anlass gewesen war, ein einmaliges Ereignis, das entsprechend hatte gefeiert werden müssen. Nach acht langen Jahren war er nun endlich frei.
    Lucien Michael Ashford, Sechster Vicomte Calverton, schlenderte die Mount Street entlang und ließ dabei lässig seinen Spazierstock aus Ebenholz durch die Luft wirbeln, auf seinen Lippen ein Lächeln reiner, unverfälschter Freude.
    Er war neunundzwanzig Jahre alt, und dennoch hatte sein Leben als Erwachsener im Grunde erst mit dem heutigen Tage begonnen. Der heutige Tag war quasi der erste, an dem er besagtes Leben endlich mit Fug und Recht sein Eigen nennen durfte. Und es kam sogar noch besser: Denn seit dem gestrigen Tag war er nicht nur frei, sondern auch noch reich. Sagenhaft, fantastisch - und noch dazu absolut rechtmäßig - reich. Eigentlich gab es nicht viel mehr, was er sich noch hätte wünschen können; oder zumindest fiel ihm nicht mehr viel ein. Und hätte er nicht befürchten müssen, auf die Nase zu fallen, so wäre er vor lauter Übermut die menschenleere Straße hinuntergehüpft.
    Der Mond stand hoch am Himmel, erhellte mit seinem Licht die Bürgersteige und warf tiefe Schatten. Die Stadt um ihn, Luc, herum lag in tiefem Schlaf; tatsächlich jedoch herrschte in der Metropole London niemals wirkliche Stille, selbst jetzt nicht, um diese nächtliche Stunde. Aus einiger Entfernung ertönte, verzerrt durch die Steinfassaden ringsumher, das Klirren von Pferdegeschirr, das dumpfe Trappeln von Hufen, eine geisterhafte Stimme, die irgendetwas rief. Und obgleich selbst hier, in einem der vornehmsten Viertel Londons, in der Dunkelheit zuweilen Gefahren lauerten, empfand Luc die einsame nächtliche Straße nicht als bedrohlich. Seine Sinne waren alle noch durchaus funktionsfähig, und trotz seines berauschten Zustandes achtete er sorgfältig darauf, mit festen, gleichmäßigen Schritten zu gehen. Falls also irgendwo in den Schatten jemand auf der Lauer lag und ihn in verbrecherischer Absicht beobachtete, so würde dieser keinen Betrunkenen sehen, sondern einen groß gewachsenen, ausnehmend gut gebauten, eleganten, athletischen Gentleman, der lässig einen Spazierstock schwenkte - einen Spazierstock, in dem sich womöglich ein Stockdegen verbergen könnte und auch in der Tat verbarg. Woraufhin jeder Dieb, der auch nur halbwegs bei Verstand war, sich lieber ein anderes Opfer suchen würde.
    Luc hatte eine halbe Stunde zuvor seinen Club in St. James verlassen, wo er mit einer Gruppe von Freunden zusammengesessen hatte. Sie hatten eine nicht unbeträchtliche Menge allerfeinsten französischen Kognaks genossen, und um die benebelnde Wirkung wieder abzuschütteln, hatte Luc beschlossen, keine Droschke nach Hause zu nehmen, sondern besser zu Fuß zu gehen. Alles in allem war seine Feier jedoch noch relativ maßvoll gewesen. War Lucs Euphorie doch ein klein wenig gedämpft worden durch die simple Tatsache, dass ja keiner der besagten Freunde - tatsächlich sogar niemand außer seiner Mutter und seinem gewieften alten Bankier, Robert Child - je irgendetwas über seine vorherigen, bedrückenden Lebensumstände gewusst hatte, über die ernste Notlage, in die Luc und alle seine unmittelbaren Angehörigen durch seinen vor mittlerweile acht Jahren verstorbenen Vater gebracht worden waren, über die äußerst riskante und bedrohliche Situation, aus der Luc sich und die seinen die gesamten vergangenen acht Jahre mühsam und Schritt für Schritt wieder herauszukämpfen versucht hatte, und die er erst mit dem gestrigen Tage endgültig hatte überwinden können.
    Die Tatsache, dass Lucs Freunde keine Ahnung hatten, was genau er da eigentlich feierte, hatte sie aber natürlich nicht davon abgehalten, ihm Gesellschaft zu leisten. Und daraus hatte sich dann eine lange Nacht voller Wein, Gesang und den schlichten Freuden einer in Kameradschaft verbundenen Männerrunde ergeben.
    Es war nur jammerschade, dass sein ältester Freund, sein Cousin Martin Fulbridge, jetzt Dexter, Graf von Dexter, gegenwärtig nicht in London weilte. Andererseits amüsierte Martin sich ganz zweifellos in seinem Heim oben im Norden, schwelgte in den Freuden und Vergnügungen,
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