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Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben

Titel: Ein seltsamer Ort zum Sterben
Autoren: Derek B. Miller
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Farris-Mineralwasser unterm Sitz hervor und nimmt einen langen Zug, während Petter den Wagen durch schmale Straßen und den Kleinstadtverkehr bugsiert. Sie stellt sich das Sommerhaus und das umliegende Land vor – den Feldweg, von dem der kleine Pfad zum Haus abzweigt, und das weite Feld, das sich davor erstreckt.
    «Wie kommen die anderen?», fragt sie Petter.
    «Die Eingreiftruppe?»
    «Kommen die geflogen?»
    «Sie sind mit dem Helikopter so nah ran, dass man sie nicht hören konnte. Den Rest gehen sie zu Fuß.»
    «Wo sind sie jetzt?»
    Petter schaut nicht zu ihr hinüber. Seine Augen sind auf die Straße geheftet, falls plötzlich Kinder hinter einem Ball hergerannt kommen oder Autos auf die Kreuzung fahren, während die Fahrer wie Idioten auf ihre Handys glotzen.
    «Ganz nah», sagt er.

    Ein Klicken – ein entferntes, aber vertrautes Klicken. Der Klang eines Gewehrs, das einen Leerschuss abgibt. Der Schwarze hat das Geräusch schon oft gehört. Wenn man es zu oft wiederholt, kann der Schlagbolzen Schaden nehmen. Doch im Lauf so vieler Jahre und insbesondere heute, wo es so viele unerfahrene junge Männer gibt, die ihre Waffe behandeln, als wäre es ein Spielzeug, hat er das Geräusch viele Male zu hören bekommen.
    Das Geräusch kam aus dem Wald. Es ist nicht das Knacken eines Astes. Es ist anders als das langgezogene Rascheln eines Blattes oder das gedämpfte Klicken eines Knochens. Es ist anders. Metallisch. Schneidend.
    Es ist ein kriegerischer Laut.
    Er bleibt stehen und hält den Jungen fest. Angst hat er nicht. Er ist nicht vor Furcht gelähmt. Vielmehr versucht er, das Geräusch zu orten. Er würde es gern noch einmal hören, um herauszufinden, von wo genau es kommt.
    Er ist nur zwanzig Meter von den beiden zu dem hellroten Haus führenden Stufen entfernt, das sich so deutlich von den erdfarbenen Tönen der spätsommerlichen Umgebung abhebt.
    Als er stehen bleibt, bleibt auch der Junge stehen. Er macht ein finsteres Gesicht und zerrt in die andere Richtung, aber nur zum Ausdruck des Protests, so wie ein Tier plötzlich und ohne ersichtlichen Grund an seiner Kette zerrt und mit leisem Knurren darauf herumkaut. Dem Jungen ist es egal, weshalb sie stehen geblieben sind. Er möchte frei sein und davonlaufen.
    Es gibt Geräusche, gesprochene Worte oder andere, die laut werden, wenn sich die Gewissheit ausbreitet, dass alles unwiederbringlich verloren ist. Die Ahnung vom Tod eines nahestehenden Menschen produziert so einen Laut.
    Der Klang eines Schlagbolzens, der eine Kugel nur streift und nicht aus dem Lauf katapultiert, auch.
    Es ist der Laut verlorener Hoffnung. Einer Geschichte, die zu Ende ist.
    Für jeden anderen ist das Geräusch von Sheldons Rohrkrepierer ein dünnes, scharfes Klicken. Sheldon dagegen kommt es so laut vor, als habe er mitten in der Nacht eine Münze in einen leeren Swimmingpool geworfen. Ein Geräusch, das meilenweit zu hören ist. Das der Welt mitteilt, wo er sich befindet. Was er tut und weshalb.
    Sein Zielobjekt hat aufgehört, sich zu bewegen. Eindeutig hat der Mann das gehört. Der Junge weiß erkennbar nicht, was das Geräusch zu bedeuten hat, doch der Mann kennt es. Man sieht es an seinem Gesicht. Es spiegelt sich keine Beunruhigung darin. Er hat sich ihm zugewandt und blickt in den Wald.
    Donny sollte still sein. Er sollte sich nicht bewegen. Denn so überlebt der Schütze, wenn Weglaufen unmöglich ist. Er sollte seiner Stellung, seiner Tarnung vertrauen. Er sollte warten, bis sein Zielobjekt weitergeht. Das gottverdammte Gewehr ist offensichtlich kaputt.
    Moses.
Der Versehrte.
    Sheldon hält sich aber nicht an die Vorschriften.
    So leise er kann, öffnet er den Verschluss und schiebt ihn zurück, bis er die Reibung des Projektils spürt. Wenn er zu heftig zieht, wird die Patrone ausgeworfen und landet rechts von ihm in den Blättern und verursacht nur noch mehr Geräusche. Daher hält er die Linke über den Verschluss und schiebt ihn vorsichtig zurück, bis die Spitze des Projektils herausgeschoben wird.
    Er legt den Rohrkrepierer auf den Boden, nimmt die Patrone, die er hinters Ohr gesteckt hat, und lädt die Waffe erneut. Verschluss verriegeln. Nicht sichern. Wieder zielt er und – ohne Pause, ohne Erinnerung, ohne Zweifel – drückt ab.
    Und da ist es wieder. Das deutliche Klicken eines Bolzens, der ergebnislos auf einen Zünder schlägt. Was für ein seltsames Geräusch. Spielt da jemand mit ihm? Der Schwarze schaut wieder in den Wald. Nun dringt sein Blick tiefer.
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