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Ein Regenschirm furr diesen Tag

Ein Regenschirm furr diesen Tag

Titel: Ein Regenschirm furr diesen Tag
Autoren: Wilhelm Genazino
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Balkhausen hat mir erzählt, sie hätte mit einem Herrn Ihres Instituts einen sehr schönen Erfahrungsnachmittag verbracht.
    Ahh ja, mache ich.
    Ich möchte fragen, sagt Frau Tschackert, ob ich bei Ihrem Institut auch einen solchen, äh, Nachmittag buchen kann.
    Wie, äh, ja, schön, sage ich.
    Frau Balkhausen ist begeistert und wird sicher noch einmal bei Ihnen anrufen, sagt Frau Tschackert; denken Sie, Frau Balkhausen hat sich am Abend zum ersten Mal im Fernsehen gesehen, und das verdankt sie Ihnen, hat sie mir gesagt.
    Ach, wundervoll, sage ich.
    Nicht wahr! ruft Frau Tschackert aus.
    Wahrscheinlich sollte ich das Telefonat jetzt beenden. Aber trotz der Peinlichkeit, die durch mich hindurchzieht, »gebe« ich Frau Tschackert »einen Termin« für nächste Woche, spätnachmittags, kurz nach Büroschluß, zwei Stunden, »wie üblich« für zweihundert Mark. Frau Tschackert freut sich, wir beenden das Gespräch.
    Sofort danach möchte ich weiter darüber nachdenken, ob ich mich als Kind beim Anblick des Kohlenwagens zum ersten Mal kunstvoll beschwindelt habe, aber ich finde nicht mehr die Nähe zur Erinnerungsspur der alten Bilder. Wenig später rauscht ein kurzes Gewitter über die Dächer. Ein Spruch meiner Mutter fällt mir ein: Von den Blitzen wird die Milch sauer. Wäre Lisa hier, würde sie jetzt ausrufen: Das ist ein echtes Sommergewitter! Es kühlt überhaupt nicht ab! Hinterher ist es genauso schwül wie vorher! Mir fällt ein, daß ich Lisa seit vielen Wochen nicht mehr gesehen und nicht mehr gesprochen habe. Es ist, als sei sie für immer aus meinem Leben getreten. Sogleich korrigiere ich mich: Es scheint nicht nur so, sie ist aus meinem Leben getreten. Ich bin sogar ein bißchen froh, daß sie mir in den letzten Tagen nicht begegnet ist. Vermutlich hätte ich nicht der Versuchung widerstehen können, ein paar auftrumpfende Mitteilungen zu machen. Stell dir vor, ich leite ein Institut, das es nicht gibt, und verdiene damit sogar Geld, ich lebe ganz modern! Denk dir, ich spreche zuweilen bedeutsam, obwohl ich nie bedeutsam habe sein wollen. Und: Ich bin wieder mit einer Frau zusammen! Und das Allerunerhörteste: Wenn alles gutgeht, werde ich beim Generalanzeiger regelmäßig Geld verdienen! Ich hätte leicht merken können, wie verblüfft Lisa gewesen wäre, und ich hätte Lust gehabt, noch ein paar pompösere Verlautbarungen nachzuschieben. Meine Existenzlosigkeit geht zurück, findest du nicht auch? Ich habe keine Lust mehr, mein Leben zu belauern. Ich warte nicht mehr darauf, daß die äußere Welt endlich zu meinen inneren Texten paßt! Ich höre auf, der blinde Passagier meines eigenen Lebens zu sein!
    Ich bin froh, daß ich diese Sätze nicht habe aussprechen müssen. Endlich gleitet Lisa wieder aus meinen Gedanken heraus. Merkwürdig ist die Stille, die dem Überleben folgt. Es ist plötzlich so ruhig, als hätte es nie einen Kampf gegeben. Ich schaue in der Wohnung umher, nicht weit von mir liegt eine ältere Zeitung. Anstelle der Überschrift VERABSCHIEDUNGEN IM LANDRATSAMT lese ich versehentlich VERARMUNGEN IM LANDRATSAMT. Obwohl ich nie ein Landratsamt von innen gesehen habe, bin ich momentweise entzückt, daß das Amt seine Verarmungen endlich eingesteht. Das Gewitter ist vorüber, in den Vorgärten glänzt das Gras. Es ist immer noch Sommer, überall stehen die Fenster offen. In vierzehn Tagen habe ich Geburtstag. Ich hätte ihn vergessen beziehungsweise übergangen, wie viele andere meiner Geburtstage auch, aber Susanne weiß meinen Geburtstag seit unserer Kindheit und will ihn feiern. Ich denke an Frau Tschakkert, von der ich nichts weiß. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was ich mit ihr machen werde. Heute abend ist Sommerfest, ich werde für den Generalanzeiger dabeisein und für Messerschmidt einen luftigen (das ist Messerschmidts Wort) Artikel schreiben. Beiläufig habe ich Susanne gebeten, sie möge mitgehen zum Sommerfest. Mit noch größerer Beiläufigkeit habe ich gesagt, daß ich für den Generalanzeiger dort bin. Susanne hat darauf nicht reagiert, woraus ich geschlossen habe, daß mir die Beiläufigkeit gelungen ist. Ich überlege, ob ich Susanne heute abend gestehen soll, daß ich mit einem von mir im Scherz erfundenen Schwindelinstitut Geld verdiene. Vermutlich wird Susanne lachen müssen; und das Institut wird vergessen sein.
    Kurz danach nehme ich die drei Plastiktüten mit den Blättern und gehe auf die Straße. Ich möchte nicht, daß mich jemand dabei beobachtet, wie ich
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