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Ein Profi. Stories vom verschütteten Leben

Ein Profi. Stories vom verschütteten Leben

Titel: Ein Profi. Stories vom verschütteten Leben
Autoren: Charles Bukowski
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TRANSPORTER!«
    Ich rannte damit auf den Transporter zu. Auf amerikanischen Schulhöfen war mir von klein auf beigebracht worden, daß es eine Schande war, wenn man sich besiegen ließ. Ich wußte, ich durfte den Stier nicht fallen lassen, denn das wäre für die anderen der Beweis, daß ich ein Feigling war und kein Mann und daß ich deshalb nur Hohn und Gelächter verdiente. In Amerika mußte man Sieger bleiben, daran führte kein Weg vorbei; man mußte lernen zu kämpfen, für nichts und wieder nichts, und keine Fragen zu stellen. Und außerdem, wenn ich den Stier fallen ließ, mußte ich ihn wieder aufheben; und ich wußte genau, ich würde ihn nie im Leben wieder aufheben können. Außerdem würde er dreckig werden. Ich wollte nicht, daß er dreckig wurde; oder vielmehr: Die wollten nicht, daß er dreckig wurde.
    Ich rannte damit in den Transporter rein.
    »HÄNG IHN REIN!«
    Der Haken an der Decke war so stumpf wie ein Männerdaumen ohne Fingernagel. Ich ließ den Stier unten los und packte ihn weiter oben, wuchtete ihn hoch, drückte ihn gegen den Haken, wieder und wieder, aber der Haken ging einfach nicht durch. Scheißdreck! Nichts als Knorpel und Sehnen, zäh wie nur was.
    »MACH SCHON! MACH SCHON!«
    Ich versuchte es noch einmal, mit letzter Kraft, und der Haken ging durch, es war ein märchenhafter Anblick, ein Wunder, wie dieser Haken durchging und der Stier jetzt von alleine da hing; ich hatte ihn von der Schulter runter, er hing da für die Küchenschürzen und den Tratsch im Metzgerladen.
    »LOS, BEWEG DICH!«
    Ein 285 Pfund schwerer Neger, selbstsicher, arrogant, cool und mörderisch, kam an, hing seinen Stier dran, ZACK!, und sah auf mich herunter.
    »Wir bleiben hier in der Reihe!«
    »Okay, Großer.«
    Ich ging vor ihm raus. Der nächste Stier wartete auf
    mich. Jedesmal, wenn ich einen reingewuchtet hatte, war ich mir sicher, daß ich den nächsten nicht mehr
    schaffen würde, aber ich sagte mir immer wieder
    noch einen
    nur noch einen
    dann steck ich
    auf.
    Scheiß
    drauf.
    Sie warteten darauf, daß ich aufsteckte. Ich sah, wie sie sich angrinsten, wenn sie dachten, ich würde nicht hinsehen. Ich wollte ihnen ihren Triumph nicht gönnen. Ich nahm mir den nächsten Stier vor. Der große Spieler, der sich noch ein letztes Mal aufbäumte, obwohl er längst erledigt war. Ich nahm mir das Fleisch vor.
    Zwei Stunden brachte ich so herum, dann brüllte jemand »PAUSE!«
    Ich hatte durchgehalten. Zehn Minuten ausruhen, einen Kaffee trinken, und sie würden mich nie soweit kriegen, daß ich aufsteckte. Ich ging hinter ihnen raus, auf den Lunchwagen zu. Ich sah, wie aus dem Kaffeekessel der Dampf in die kühle Abendluft stieg; ich sah die Doughnuts und Zigaretten und Napfkuchen und Sandwiches im Schein der Glühbirnengirlande.
    »HE, DU!«
    Es war Hank. Hank konnte mich gut leiden.
    »Yeah, Hank?«
    »Eh du Pause machst, fährst du noch den Transporter da rüber in Box 18.«
    Es war der Transporter, den wir gerade beladen hatten; das Ding, das einen halben Häuserblock lang war. Box 18 war am anderen Ende des Geländes.
    Es gelang mir, die Fahrertür zu öffnen und ins Führerhaus zu klettern. Der Ledersitz war weich, und es saß sich so angenehm darin, daß ich wußte, ich würde jeden Augenblick einschlafen, wenn ich nicht dagegen ankämpfte. Ich war kein Fernfahrer. Aus dem Boden kam ein halbes Dutzend Schalthebel, Bremspedale und so weiter. Ich drehte den Zündschlüssel, und es gelang mir, den Motor anzulassen. Ich probierte an Pedalen und Schalthebeln herum, bis der Lastwagen anrollte, und dann fuhr ich ihn rüber zur Box 18, und die ganze Zeit dachte ich: Bis ich wieder zurückkomme, wird der Lunchwagen weg sein. Das war eine richtige Tragödie für mich. Ich parkte den Transporter, stellte den Motor ab, und dann saß ich eine Minute lang da und genoß diesen weichen bequemen Ledersitz. Als ich ausstieg, verfehlte ich die Fußraste (oder was immer da sein mochte, wo man den Fuß draufstellen konnte) und fiel auf die Erde mit meiner blutigen Schürze und meinem Blechhelm, als hätte mich jemand abgeschossen. Es tat nicht weh; ich spürte nichts. Ich kam gerade rechtzeitig wieder hoch, um zu sehen, wie der Lunchwagen aus dem Tor hinaus und die Straße runterfuhr. Ich sah, wie sie zur Laderampe zurückgingen und lachten und sich Zigaretten ansteckten.
    Ich zog Stiefel und Schürze aus, nahm meinen Blechhelm ab und ging zur Holzhütte neben dem Tor. Ich warf das Zeug auf den Tisch. Der alte Mann sah
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