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Ein Profi. Stories vom verschütteten Leben

Ein Profi. Stories vom verschütteten Leben

Titel: Ein Profi. Stories vom verschütteten Leben
Autoren: Charles Bukowski
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davon los.
5
    Mein Glück hatte mich wieder mal verlassen, und diesmal war ich vom exzessiven Weintrinken zu sehr genervt und kirre, zu schwach und deprimiert, um mir einen meiner üblichen Lückenbüßerjobs als Packer oder Lagerarbeiter an Land zu ziehen; deshalb ging ich da runter zu diesem Fleischgroßhändler und rein ins Personalbüro.
    »Habe ich Sie nicht schon mal gesehen?« fragte der Mann.
    »Nein«, log ich.
    Vor zwei oder drei Jahren war ich schon einmal da gewesen, hatte den ganzen Papierkram hinter mich gebracht, die ärztliche Untersuchung und so weiter, und er war mit mir vier Stockwerke nach unten gegangen, es war kälter und kälter geworden, auf den Böden hatte eine glitzernde Schicht von Blut gelegen, grüne Böden, grüne Wände. Er hatte mir den Job erklärt – man drückte auf einen Knopf, und dann kam aus diesem Loch in der Wand ein Geräusch wie eine angreifende Football-Mannschaft oder eine Elefantenherde, und da kam es angerauscht – etwas Totes, Großes, Blutiges; und er hatte mir gezeigt, wie man es packte und in den Gefrierfleischtransporter hievte, und dann drückte man wieder auf den Knopf und der nächste kam an. Dann war er weggegangen. Sobald er außer Sicht war, hatte ich meine Schürze ausgezogen, den Schutzhelm abgenommen und die Schuhe ausgezogen (sie hatten mir welche verpaßt, die drei Nummern zu klein waren); dann war ich die Treppen wieder hochgestiegen und oben rausgegangen. Jetzt war ich wieder da.
    »Sie sehen mir ein bißchen alt aus für den Job.«
    »Ich will mich wieder in Form bringen. Ich brauche harte Arbeit, gute harte Arbeit«, log ich.
    »Können Sie wirklich hart ran?«
    »Ich hab nix als Mumm in mir. Hab früher im Ring gestanden, gegen die Besten geboxt.«
    »Ach ja?«
    »Yeah.«
    »Hmm, Ihr Gesicht sieht auch danach aus. Sie müssen ein paar böse Fights gehabt haben.«
    »Mein Gesicht braucht Sie nicht zu interessieren. Ich hatte schnelle Fäuste. Hab sie auch heute noch. Mußte mich ab und zu auf die Bretter legen lassen, damit es besser aussah.«
    »Ich interessiere mich eigentlich fürs Boxen, aber Ihr Name ist mir nicht geläufig.«
    »Ich hab unter einem anderen Namen geboxt. Kid Stardust.«
    »Kid Stardust? An einen Kid Stardust kann ich mich nicht erinnern.«
    »Ich hab in Südamerika geboxt, in Afrika, Europa, auf den Inseln, in den Ölhäfen. Deshalb auch die ganzen Lücken in meinen Arbeitspapieren – ich schreibe nicht gern ›Boxer‹ hin, weil die Leute sonst denken, ich will sie auf den Arm nehmen oder anlügen. Ich laß da einfach immer eine Lücke, und zum Teufel damit.«
    »All right, erscheinen Sie morgen früh um halb 10 zur ärztlichen Untersuchung, und dann stellen wir Sie ein. Sie sagten doch, daß Sie harte Arbeit wollen, nicht?«
    »Na ja, wenn Sie grade was anderes haben …«
    »Nein, im Moment nicht. Wissen Sie, Sie sehen aus, als wären Sie schon an die 50. Ich frage mich, ob das recht ist, was ich hier mache. Wir wollen schließlich nicht, daß uns hier einer bloß unnötig Zeit kostet.«
    »Ich bin nicht irgendwer – ich bin Kid Stardust.«
    »Okay, Kid«, sagte er lachend, »wir lassen Sie AR-BEITEN!«
    Die Art, wie er das sagte, gefiel mir gar nicht.
    Zwei Tage danach ging ich durchs Tor und begab mich in die Holzhütte, wo ich einem alten Mann den Zettel mit meinem Namen drauf zeigte: Henry Chinaski. Er schickte mich zur Laderampe; dort sollte ich mich bei Thurman melden. Ich ging hin. Es saßen einige Männer auf einer Holzbank, und sie sahen mich an, als sei ich ein Homo oder ein Kriegsversehrter mit Prothesen.
    Ich warf ihnen einen Blick zu, von dem ich mir einbildete, daß er eine legere Geringschätzung zum Ausdruck brachte, und schnodderte in meinem besten Gossenjargon:
    »Wo is Thurman. Soll mich bei dem Typ vorstellen.«
    Jemand zeigte auf einen.
    »Thurman?«
    »Yeah.«
    »Ich soll in deiner Gruppe malochen.«
    »Yeah?«
    »Yeah.«
    Er musterte mich.
    »Wo sind deine Stiefel?«
    »Stiefel? Hab ich nicht«, sagte ich.
    Er griff unter die Bank und gab mir ein Paar. Die Dinger waren klobig und hart und steif. Ich zog sie an. Wie gehabt: drei Nummern zu klein. Meine Zehen wurden nach unten umgebogen und zerquetscht.
    Dann gab er mir eine blutige Schürze und einen Blechhelm. Ich staffierte mich damit aus. Ich stand da, während er sich eine Zigarette ansteckte, oder wie die Engländer sagen: während er seine Zigarette anzündete. Er warf das Streichholz mit einem gelassenen und sehr männlichen Schlenker
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