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Ein Profi. Stories vom verschütteten Leben

Ein Profi. Stories vom verschütteten Leben

Titel: Ein Profi. Stories vom verschütteten Leben
Autoren: Charles Bukowski
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Christus auf Rollschuhen
    Es war ein kleines Büro im dritten Stockwerk eines alten Gebäudes, nicht weit vom Elendsviertel. Joe Mason, Präsident der Rollerworld GmbH, saß hinter dem zerschrammten Schreibtisch, den er zusammen mit dem Büro gemietet hatte. Diverse Sprüche waren in die Schreibtischplatte und die Seitenwände geritzt: »Zum Krepieren geboren«, »Die einen kaufen sichs, die anderen werden dafür gehängt«, »Ein Teller voll Scheiße«, »Mein Haß auf die Liebe ist größer als meine Liebe zum Haß«.
    Zum Inventar gehörte noch ein zweiter Stuhl. Darauf saß der Vizepräsident, Clifford Underwood. Im Büro roch es nach Urin, obwohl die Toilette zwölf Schritte weiter hinten im Flur war. Das Fenster ging auf eine schmale Seitenstraße hinaus. Durch das dicke gelbe Glas sickerte ein trübes Dämmerlicht herein. Die beiden Männer saßen da und rauchten Zigaretten. Sie warteten auf jemand.
    »Wann hast du’s ihm gesagt?« fragte Underwood.
    »Halb zehn«, sagte Mason.
    »Spielt ja jetzt auch keine Rolle mehr.«
    Sie warteten. Acht Minuten vergingen. Sie steckten sich jeder eine neue Zigarette an. Es klopfte.
    »Herein«, sagte Mason. Es war Monster Chonjacki, Vollbart, einsfünfundneunzig, 178 Kilo. Chonjacki stank. Es begann zu regnen. Irgendwo in der Nähe hörte man einen Güterwaggon über die Gleise rumpeln. Genauer gesagt waren es 24 Güterwaggons, die mit ihrer Fracht nach Norden rumpelten. Chonjacki stank immer noch. Er war der Star der Yellow Jackets und einer der besten Rollerballspieler diesseits und jenseits des Mississippi. 25 Meter auf jeder Seite.
    »Setz dich«, sagte Mason.
    »Kein Stuhl«, sagte Chonjacki.
    »Mach ihm den Stuhl frei, Cliff.«
    Der Vizepräsident erhob sich langsam. Für einen Augenblick sah es so aus, als wolle er furzen, dann tat er’s aber doch nicht und ging hinüber und lehnte sich an den Regen, der gegen die dicke gelbe Fensterscheibe trommelte. Chonjacki parkte beide Hinterbacken und steckte sich eine filterlose Pall Mall an. Mason beugte sich über seinen Schreibtisch:
    »Du bist ein stupides Arschloch.«
    »Na mal langsam, Mann!«
    »Du willst wohl den Helden spielen, was, Sonny? Steigt es dir zu Kopf, wenn kleine Mädchen, die noch keine Haare auf der Möse haben, deinen Namen kreischen? Überläuft es dich, wenn das Sternenbanner gehißt wird? Frißt du gern Vanille-Eis? Spielst du immer noch mit deinem verhutzelten kleinen Ding rum, du Arschloch?«
    »Also hören Sie mal, Mason …«
    »Halt’s Maul! Dreihundert die Woche! Dreihundert die Woche kriegst du von mir! Als ich dich in dieser Bar da aufgelesen habe, da hast du nicht mehr gewußt, von was du deinen nächsten Drink bezahlen sollst … du hattest Delirium tremens und hast dich von Schweinskopf und Kohlsuppe ernährt! Du konntest dir keinen Rollschuh festbinden! Aus einem Nichts hab ich dich Arschloch zu was gemacht, und ich kann dich jederzeit wieder zu einem Nichts machen! Für dich bin ich der liebe Gott! Bloß mit dem Unterschied, daß ich dir keine einzige von deinen dämlichen Sünden vergebe!«
    Mason lehnte sich mit geschlossenen Augen in seinem Drehstuhl zurück. Er zog an seiner Zigarette. Ein bißchen heiße Asche fiel ihm auf die Unterlippe, doch er war viel zu wütend, um sich darum zu kümmern. Er ließ sich einfach von der Asche versengen. Die Asche wurde kalt, und er saß weiter mit geschlossenen Augen da und hörte dem Regen zu. Normalerweise tat es ihm gut, dem Regen zuzuhören. Besonders wenn er irgendwo im Trockenen saß und die Miete bezahlt war und es keine Frau gab, die ihn zum Wahnsinn trieb. Heute dagegen war der Regen keine Hilfe. Chonjacki nervte ihn, und nicht nur wegen des Gestanks. Chonjacki war schlimmer als Dünnschiß. Chonjacki war schlimmer als Sackratten. Mason machte die Augen wieder auf, setzte sich aufrecht und sah ihn an. Gott, was ein Mensch alles durchmachen mußte, bloß um zu überleben.
    »Baby«, sagte er sanft, »gestern abend hast du Sonny Welborn zwei Rippen gebrochen. Hörst du mich?«
    »Aber das …«, setzte Chonjacki an.
    »Nicht etwa eine Rippe. Nein, nicht bloß eine Rippe. Zwei. Zwei Rippen. Hörst du mich?«
    »Aber …«
    »Hör mir zu, du Arschloch! Zwei Rippen! Hörst du, was ich sage?«
    »Ich hör es, ja.«
    Mason drückte seine Zigarette aus, erhob sich von seinem Drehstuhl, ging um den Schreibtisch herum und stellte sich vor Chonjacki hin. Man konnte durchaus sagen, daß Chonjacki recht nett wirkte. Man konnte sogar sagen, er war
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