Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Profi. Stories vom verschütteten Leben

Ein Profi. Stories vom verschütteten Leben

Titel: Ein Profi. Stories vom verschütteten Leben
Autoren: Charles Bukowski
Vom Netzwerk:
…«
    »Seine Einweisungspapiere wurden unten bearbeitet, als ich oben zu tun hatte, und dann wurden sie abgelegt, ehe ich sie zu sehen bekam. Und außerdem, Herr Oberarzt, steht in seinen Papieren nichts davon, daß er bei uns eine Bluttransfusion beanspruchen kann.«
    »Sie schaffen mir hier Blutkonserven herauf, und zwar SOFORT!«
    ›Teufel nochmal, wer ist dieser Kerl?‹ dachte ich. ›Sehr merkwürdig. Sehr merkwürdig für einen Arzt.‹
    Sie begannen mit den Transfusionen – neun Flaschen Blut und acht Flaschen Glukose.
    Eine Schwester versuchte, mir meine erste Mahlzeit anzudrehen. Roastbeef mit Kartoffeln und Erbsen und Karotten. Sie stellte das Tablett vor mich hin.
    »Aber das kann ich doch nicht essen!« sagte ich zu ihr. »Das wäre doch mein sicherer Tod!«
    »Sie essen das«, sagte sie. »Es steht auf Ihrer Liste, es steht auf Ihrem Speiseplan.«
    »Bringen Sie mir ein Glas Milch,« sagte ich.
    »Sie essen das, was dasteht«, sagte sie und ging weg.
    Ich ließ das Essen stehen.
    Fünf Minuten später kam sie angerannt.
    »ESSEN SIE DAS NICHT!« kreischte sie. »DAS DÜRFEN SIE NOCH NICHT HABEN!! Auf dem Speiseplan hat jemand einen Fehler gemacht!«
    Sie nahm das Essen mit und kam mit einem Glas Milch wieder.
    Sobald ich die erste Flasche Blut drinhatte, setzten sie mich in einen Rollstuhl und schafften mich nach unten zum Röntgen. Der Arzt sagte, ich solle mich vor den Apparat stellen. Ich versuchte es, fiel aber immer wieder nach hinten um.
    »VERDAMMT NOCH MAL!« schrie er, »JETZT HABEN SIE MIR SCHON WIEDER EINE AUFNAHME RUINIERT! BLEIBEN SIE ENDLICH STEHEN UND FALLEN SIE NICHT DAUERND UM!«
    Ich versuchte es, aber ich konnte nicht stehen. Ich fiel wieder um.
    »Ach Scheiße«, sagte er zu der Schwester, »schaffen Sie ihn weg.«
    Am Ostersonntag spielte unten im Hof die Kapelle der Heilsarmee, direkt unter unserem Fenster, um 5 Uhr in der Frühe. Sie spielten grauenhafte Kirchenlieder, sie spielten falsch und laut. Es schwappte über mich herein, es ging mir durch und durch, es brachte mich schier um. An diesem Morgen fühlte ich mich dem Tod so nah wie noch nie. Er war noch eine Handbreit entfernt, eine Haaresbreite. Endlich zogen sie unten zum nächsten Gebäude weiter, und ich begann wieder ein bißchen zu leben. Ich würde sagen, daß sie an diesem Morgen wahrscheinlich ein halbes Dutzend wehrlose Menschen mit ihrer Musik unter die Erde brachten.
    Dann tauchte mein Vater auf und brachte mein Flittchen mit. Sie war betrunken, und ich wußte, daß er ihr das Geld dafür gegeben hatte, daß er sie mit Absicht in betrunkenem Zustand anschleppte, um mich unglücklich zu machen. Mein Alter und ich waren seit jeher erbitterte Feinde. Alles, woran ich glaubte, lehnte er ab; und umgekehrt. Sie hing schwankend über meinem Bett, knallrot im Gesicht, betrunken.
    »Warum bringst du sie in diesem Zustand an?« fragte ich. »Warum hast du nicht gewartet bis morgen oder übermorgen?«
    »Ich hab dir ja gesagt, daß sie nichts taugt! Ich hab dir schon immer gesagt, daß sie nichts taugt!«
    »Du hast sie besoffen gemacht und dann hier reingeschleppt! Warum mußt du mir dauernd einen reinwürgen, hm?«
    »Ich hab dir gesagt, sie taugt nichts. Ich hab dirs gesagt, ich hab dir’s gesagt! «
    »Du elende Sau, noch ein Wort von dir, und ich zieh mir diese Nadel da aus dem Arm und steh auf und hau dir sämtliche Knochen kaputt!«
    Er packte sie am Arm, und sie gingen zusammen weg.
    Vermutlich hatte man die beiden angerufen und ihnen gesagt, ich würde es nicht mehr lange machen. Ich verlor immer noch Blut. Am Abend kam der Priester an.
    »Pater«, sagte ich, »nichts für ungut, aber ich möchte lieber ohne Letzte Ölung sterben, ohne salbungsvolle Worte.«
    Ich war überrascht, wie entgeistert er dreinsah. Er wankte, als hätte ich ihm einen Schlag versetzt. Es überraschte mich, denn ich hatte immer gedacht, diese Jungs könnten ein bißchen was vertragen. Aber na ja, die wischen sich auch den Hintern wie alle anderen.
    »Pater, sprechen Sie mit mir«, sagte ein alter Mann. »Mit mir können Sie reden.«
    Der Priester ging hinüber zu dem alten Mann, und alle waren zufrieden.
    Dreizehn Tage nach meiner Einlieferung fuhr ich einen Lastwagen und stemmte Pakete, die bis zu 50 Pfund wogen. Eine Woche danach hatte ich meinen ersten Drink – den, von dem sie gesagt hatten, er würde mein Tod sein.
    Ich nehme an, eines Tages werde ich in diesem Armenkrankenhaus sterben. Es sieht so aus, als käme ich einfach nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher