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Die Kinder aus Nr. 67

Die Kinder aus Nr. 67

Titel: Die Kinder aus Nr. 67
Autoren: Lisa Tetzner
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Vorwort
    Liebe Leser!
     
    Die Geschichten der “Kinder aus Nummer 67” beginnen in der großen Stadt Berlin. Ich erinnere mich nicht mehr genau, ob im Jahre 1932 oder schon 1931. Aber ich habe sie selber miterlebt, und was ich nicht erlebte, das haben mir meine Freunde Erwin und Paul erzählt. Sie sind die Haupthelden der Geschichte. Allerdings ist Mirjam ebenso wichtig und auch Hans Suter, ein junger Schweizer; ich will auch gleich den Franzosen Pascal, Lukas Geliert und den Schweden Mikolai, Macky, den Amerikaner, und den kleinen Neger Cimbalo, den Russen Serge und den Engländer Lloyd erwähnen. Ihr werdet sie aber alle erst später kennenlernen.
     
    Vielleicht könnten die Geschichten auch in New York, in London oder Paris geschehen, in jeder größeren Stadt, wo viele Menschen in dichten Straßen und hohen, sonnenlosen Häusern eng zusammen wohnen. Aber sie gehören doch nach Berlin, und das ist sehr entscheidend, nicht nur, weil die richtigen Berliner Jungen ihre eigene Aussprache haben, ganz besonders meine Freunde Erwin und Paul, sondern aus Gründen, die ihr erst später erfahren werdet.
     
    Was die Aussprache meiner Freunde betrifft, so kann ich sie selber manchmal nicht verstehen. Aber vielleicht ist das überall so. Ein Kölner spricht kölnisch, ein Hamburger hamburgisch, ein Pariser pariserisch und ein Londoner spricht den Slang der Londoner Straßen. Ein Zürcher dagegen redet zürichdeutsch und ein Basler baseldeutsch. Ich habe mir Mühe gegeben, alles so hinzusetzen, daß auch andere es verstehen. Aber hätte ich alles säuberlich hochdeutsch gesetzt, dann wären es eben nicht mehr meine Freunde Erwin und Paul gewesen, und schließlich sollt ihr doch sie kennenlernen und liebgewinnen, denn ihr werdet später noch viel von ihnen erfahren.
     
    Ich sage immer »später«, weil es diesmal eine sehr lange Geschichte wird, oder besser mehrere Bände, die allezusammengehören. Ich weiß, ihr liebt lange Geschichten. Oft sind euch zwei Bände noch nicht genug. Wenn ihr einen Helden liebgewinnt, wollt ihr immer noch mehr von ihm erfahren.
     
    Ich bitte euch, gewinnt Erwin und Paul, auch Mirjam und alle ihre Schicksalsgefährten, lieb, denn ihr werdet sie durch viele Jahre ihres Lebens begleiten. Wenn ihr von ihnen Abschied nehmt, sind sie schon keine Kinder mehr. Aber dann, meine Freunde, habt ihr eine große Zeit miterlebt, und es war eine Zeit, in der sich vieles veränderte und große Dinge geschahen, von denen später die Menschen in den Geschichtsbüchern lesen müssen, um sich die Jahreszahlen einzuprägen.
     
    Uns drücken keine Jahreszahlen. Wir erleben nur, was ich euch erzähle, und das ist einfach das, was die Kinder aus Nummer 67 und ihre Freunde erlebten.
     
    Doch nun will ich endlich der Reihe nach zu erzählen beginnen, denn es ist viel zu sagen.
     
    Lisa Tetzner

 
     
     
     
     
     
    Erwin und Paul - Die Geschichte einer Freundschaft

1 - Das gestohlene Brot
    Schon oft habe ich mir Gedanken gemacht, wie es wohl einem Haus zumute ist, in dem sehr viele Menschen leben und viele Dinge geschehen.
     
    Das Haus, in dem meine zwei Freunde Erwin und Paul wohnten, hatte vorn ein Vorderhaus mit zwei Aufgängen, a und b. Fünf Stock hoch waren an jedem Treppenabsatz zwei Wohnungen mit Menschen darin. Rechts und links standen die Seitenhäuser mit den Aufgängen a, b, c, d, und daran schloß sich das Hinterhaus mit den Aufgängen e, f, g. An jedem Treppenabsatz gab es drei Wohnungen. Da lebten die Schutzes, Kuntzes, die Gabriels und Israels, die Richters, Brackmanns, Biedermanns, Familie Lebben, Hennig, Weyermann, Familie Klein, Familie Groß, Familie Kurze, Lange und so weiter. Zu jedem Aufgang führte eine schmale Holztreppe.
     
    Wie oft mag diese Treppe müde sein, weil sie immerzu getreten wird und Lasten tragen muß. Denn keiner gibt ihr ein freundliches Wort, sondern alle trampeln nur eilig auf und ab. Ihr braucht mich nicht zu unterbrechen und mir vorzuhalten: das alles spürt eine Treppe nicht, sie ist aus Holz und dazu da. Aber warum soll sie nicht trotzdem etwas fühlen und ihre eigenen Gedanken haben. Ich kann mir gut vorstellen, daß sie sich ärgert, wenn Erwin mit unabgeputzten Schuhen den Straßendreck auf ihr abstreicht. Oder warum sollte sie nicht bekümmert sein, wenn die Witwe Weyermann mit durchgelaufenen Schuhsohlen und sehr naß nach Hause kommt. Denn sie beobachtet ja am besten, wieviel dünner jeden Tag die Sohle wird. Ich bin sicher, sie seufzt oft unter den vielen
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