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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben
Autoren: Carol O'Connell
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wäre auch ein perfekter Mord ohne zumindest einen bewundernden Zuhörer?
    »Das war selbst um diese Zeit riskant«, sagte Charles und hoffte, daß in seiner Stimme hinreichende Bewunderung schwang.
    »In diesem Moment, das will ich zugeben, habe ich einen gewissen Kitzel verspürt. Aber wer schaut schon frühmorgens um vier aus dem Fenster? Und so richtig wach ist um diese Zeit wohl kaum jemand. Ich trug Jeans und eine Baseballmütze und hatte mir für meine Rolle als einfacher Arbeiter einen o-beinigen Gang zugelegt. Ein Müllsack ist unverdächtig, und Arbeiter nehmen die Anwohner hier sowieso nicht zur Kenntnis. Hätte sich wider Erwarten jemand gemeldet, der einen Mann mit einem Müllsack beobachtet hätte, wäre der Verdacht nie im Leben auf mich gefallen. Ich hatte ja kein Motiv. Die Ermordete war Henrys Großmutter.«
    »Auf die Idee, Henry könnte seine Großmutter noch in der Nacht als vermißt melden, sind Sie nicht gekommen?«
    »Vermißtenmeldungen werden von der Polizei erst nach achtundvierzig Stunden bearbeitet. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß Henry einen Suchtrupp in den Park schicken würde. Sie kennen ihn ja – ich habe Sie im Park mit ihm sprechen sehen. Das Risiko war sehr gering. Schlimmstenfalls hätte ich sie an einer anderen Stelle ablegen müssen.«
    »Wo haben Sie Ihre Tante umgebracht?«
    »Ich hatte sie zum Mittagessen eingeladen und erwartete sie in einer kleinen Nebenstraße am Campus. Sie hatte niemandem von unserer Verabredung erzählt, ich mußte es von mir aus der Polizei sagen, damit sie mein Alibi für die halbe Stunde vor und nach dem Zeitpunkt überprüfen konnte, zu dem ich keins hatte. Der Polizei habe ich erzählt, sie hätte mich versetzt.«
    »Was dort sicher auf Verständnis stieß, da sie in eben dieser Zeit ermordet wurde. Und wie ist es Ihnen gelungen, Pearl Whitman ins East Village zu locken?«
    »Ich gab mich als Makler aus, behauptete, im Besitz von Informationen über ihr Kartell zu sein und drohte, mein Wissen an die Justizbehörden weiterzugeben. Sie hat mir eine Bestechungssumme angeboten, und ich sagte, wir müßten uns treffen, um die Einzelheiten persönlich zu besprechen. Durch Anrufe in öffentlichen Telefonzellen lockte ich sie von einem Block zum anderen bis zu dem Abrißhaus.«
    »Und ihre Angst vor dem Skandal, einer Haftstrafe und dem Verlust ihres Vermögens waren stärker als die Bedenken, sich in eine so gefährliche Gegend zu begeben.«
    »Sehr richtig. Bei Samantha Siddon lief es ähnlich. Allerdings hatte ich den Eindruck, daß sie sich auf unser Treffen geradezu freute. Mit drei Anrufen lockte ich sie zum Theater, wobei ich sie dreimal das Taxi wechseln ließ. Die letzten Blocks mußte sie zu Fuß gehen. Ich erwartete sie am Hinterausgang und erstach sie an einer Mülltonne. Es dauerte nur ein paar Minuten. Zum Umziehen für die Probe habe ich länger gebraucht.«
    »Und wie haben Sie die Leiche zum Gramercy Park geschafft?«
    »Normalerweise nehme ich mir in der Stadt immer ein Taxi, aber an jenem Tag hatte ich einen Mietwagen dabei und machte mich früher als sonst auf den Weg. Mallory sollte den Wagen nicht sehen.«
    Das Messer zog sich noch ein Stück zurück. Gaynor stützte den Arm auf die Sessellehne. »Aber der Ball ist immer noch in Ihrer Hälfte, Charles. Sie können mir nichts nachweisen – es sei denn, Sie hätten noch etwas in petto.«
    »Nur das.« Charles stieß das Messer beiseite und warf Gaynor den Schal über den Kopf, den Edith auf dem Sessel hatte liegen lassen. Dann griff er sich den Revolver und hielt ihn Gaynor an die Schläfe, während der sich mit einer heftigen Bewegung aus den Stoffmassen befreite.
    »Werfen Sie das Messer weg. Die Polizei muß gleich hier sein, sie ist wahrscheinlich schon im Fahrstuhl.«
    Gaynor lächelte, und Charles mußte an das alte Kinderspiel von Messer-Schere-Papier denken.
    Papier deckt den Stein zu, Schere schneidet Papier, Stein bricht Schere.
    Gegen einen Revolver kam ein Messer nicht an. Warum lächelte Gaynor?
    »Die Polizei? Sehr unwahrscheinlich, Charles. Sie konnten nicht wissen, daß ich komme, Sie haben es nur gehofft. Ein Bluff, nichts weiter.«
    »Ich verstehe mich leider nicht aufs Bluffen. Dazu habe ich nicht das richtige Gesicht.«
    Mit einem dumpfen Laut fiel das Messer aus Gaynors Hand zu Boden. »Das nehme ich Ihnen sogar ab.«
    Na also. Die Logik hatte gesiegt.
    Doch dann versuchte Gaynor gegen alle Logik, mit einem plötzlichen Ausfall an den Revolver
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