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Ein Mund voll Glück

Ein Mund voll Glück

Titel: Ein Mund voll Glück
Autoren: Horst Biernath
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anblinzelte, sah sehr fremd und verändert aus. Ein Taschentuch war als Notverband um die rechte Hand gewickelt. Das Unterhemd wies dunkle Flecken auf, und die gleichen Flecken, nur größer und schwärzlich verkrustet, entdeckte der Doktor auch auf dem Oberhemd, das verknautscht auf dem Schreibtischstuhl lag. Der erste Gedanke, der ihm durch den Kopf schoß, war: Autounfall! Der zweite — denn was hatte Alois Seehuber in dem Zustand, in dem er in ein Krankenhaus gehörte, in seiner Kanzlei zu suchen? —, daß er sich den Folgen des Unfalls durch Fahrerflucht entzogen hatte. Und der furchtbare dritte Gedanke, daß Hannelore irgendwo tot und entstellt in den Trümmern des Autos lag.
    »Um Himmels willen«, fragte er abgeschnürt, »ist sie tot?«
    »Wer soll tot sein?« fragte Alois Seehuber mit fremder Stimme. Sie klang dumpf und gequetscht, wofür das Handtuch vor seinem Mund aber nicht die einzige Ursache zu sein schien...
    »Hannelore!« stieß der Doktor hervor.
    »Wie kommst du auf diesen Blödsinn?« stöhnte Alois Seehuber und wankte zu der Sitzecke, wo er sich vorsichtig, als täten ihm alle Knochen weh, in einen Sessel sinken ließ.
    »Hast du denn keinen Unfall gebaut?«
    »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
    »Möchtest du die Güte haben, mir endlich zu erklären, warum du wie dein eigenes Gespenst aussiehst!« sagte der Doktor gereizt. »Bei mir sitzen fünf Patienten in der Praxis, und ich habe sie heute schon einmal eine volle Stunde warten lassen!«
    »Du warst heute schon vor acht Uhr in deiner Praxis, nicht wahr? Ich habe dich leider zu spät gehört...«
    »Und ich hätte für dich leider sehr wenig Zeit gehabt. Ich war für acht Uhr ins Hotel bestellt, zum Emir...«
    »So, du hättest also keine Zeit für mich gehabt!« knurrte Alois Seehuber bitter und böse aus seinem Verband heraus. Er wickelte mit der heilen linken Hand das nasse Tuch vom Gesicht: »Jetzt schau dir die Schweinerei einmal genau an, die du mir eingebrockt hast!«
    »Teufel, Teufel!« stieß der Doktor ehrlich erschrocken hervor. Der arme Kerl sah aus, als ob Cassius Clay ihn über fünfzehn Runden durch die Mühle seiner Fäuste gedreht hätte. Die rechte Augenbraue war aufgerissen. Das Auge selbst schloß ein pflaumenfarbener Bluterguß von der Größe eines Hühnereies der Güteklasse 1A. Die Nase war zu doppelter Größe angeschwollen. Die Lippen gehörten einem Hottentotten und die Backe einem Hamster. Auch die rechte Hand sah übel aus. Zwei Knöchel waren blutig aufgeschlagen.
    »Was machen deine Zähne?« fragte der Doktor besorgt.
    »Ein Stiftzahn wackelt. Sonst ist alles in Ordnung.«
    »Den kriegen wir hin.« Der Doktor stutzte plötzlich und hob den Kopf, als .lauschte er einem verklungenen Ton nach. »Was sagtest du vorher? Schweinerei, die ich dir eingebrockt habe...?«
    »Sieh mich an!« ächzte Alois Seehuber giftig. »Es ist dein Gesicht, das dir entgegenlacht!«
    Der Doktor schluckte trocken. Gewiß, Hannelore war ein kräftiges Mädchen, aber so, wie Alois Seehuber aussah, konnte ihn keine Frau zugerichtet haben. Und so zudringlich und unverschämt konnte er auch nicht geworden sein, um solche Abwehrmaßnahmen herauszufordern. Deshalb klang seine Frage auch mehr wie ein Verlangen nach Bestätigung, daß sie es nicht gewesen sein könne, die ihn so zugerichtet hatte: »Hannelore...?«
    Alois Seehuber wollte den Kopf schütteln, aber er stöhnte schon beim Ansatz zu der Bewegung vor Schmerz auf und preßte das nasse Handtuch vorsichtig gegen sein Auge.
    »Hannelore... Sei doch nicht lächerlich! Es war der Kerl!«
    »Also los! Der Reihe nach!« sagte der Doktor ungeduldig, »was ist geschehen, und wie ist es geschehen?!«
    »Wir waren also in Anatevka...«
    »Weiter, weiter!«
    »Der Kerl muß uns schon aufgelauert haben, als wir das Deutsche Theater verließen. Wir fuhren in die Maximilianstraße...«
    »Mit Hannelores Wagen?«
    »Nein, natürlich mit einem Taxi. Du kennst doch die nette Weinstube hinter den Kammerspielen...«
    »Kenne ich.«
    »Dort tranken wir zunächst eine Flasche Mosel gegen den Durst. Und später, um das Du zu begießen...«
    »He, das ging aber schnell!«
    »... eine Flasche Sekt. Und dann noch eine. Wir waren so ziemlich die letzten Gäste, die das Lokal verließen. Auf der Straße weit und breit kein Mensch. Wir gingen zu dem Taxistand am Max-Denkmal...«
    »Schleswig-Holstein meerumschlungen?«
    »Mehr oder weniger umschlungen. Warum auch nicht? Wir waren uns ja durchaus nicht
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