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Ein Mund voll Glück

Ein Mund voll Glück

Titel: Ein Mund voll Glück
Autoren: Horst Biernath
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Anstrengungen nützten nichts, wie der Emir auch drehte und zerrte, er bekam den Ring nicht vom Finger...
    »Da es dieser Ring nicht sein kann, Vater der Zange«, ließ er dem Doktor verkünden, »dessen Anblick dich zeitlebens an den Emir von Khoranshar erinnern sollte, so wie mich dein kostbares Geschenk an dich und deine große Kunst erinnern wird, will ich dir etwas weit Kostbareres als diesen Stein als Gegengabe überreichen...«
    Er hob gebieterisch die Hand, winkte Scheich Omar, einen seiner Brüder, zu sich heran und gab ihm einen Befehl, der den Scheich erbleichen ließ. Er griff sich an den Hals, als hätte der Emir sein Todesurteil ausgesprochen. Doch die Miene des Emirs wurde so streng und seine Stimme so barsch, daß Scheich Omar nicht länger zu zögern wagte, sondern in sein Gewand griff und einen kleinen Lederbeutel hervorholte, den er wie ein Amulett an einem goldenen Kettchen um den Hals trug. Er öffnete den Beutel mit einem schmerzlichen Seufzer und zog einen kleinen Gegenstand daraus hervor, den er, halb aufs Knie sinkend, dem Emir überreichte. Aus dem Antlitz des Emirs zogen die drohenden Wolken ab und verwandelten sich, während er den Doktor mit einer Handbewegung zu sich bat, in eitel Gnade und Wohlwollen.
    »So schenke ich dir denn, o Vater der schmerzlosen Zange, als edelste und kostbarste Erinnerungsgabe einen Teil meiner selbst!« und er drückte dem Doktor jenen durch einen Kirschkern angesplitterten Zahn in die Hand, den der Doktor ihm vor wenigen Tagen gezogen hatte.
    Der Doktor starrte auf den gelben Prämolar und schien von diesem Gnadenbeweis des Emirs so tief bewegt zu sein, daß er seinen Dank nur in unartikulierten Lauten stammeln konnte. In seiner einsamen Höhe erlitt Herr Kroll einen Hustenanfall, der ihn zu ersticken drohte. Und Irene, die gerade dabei war, den Tisch abzuräumen und die Arzneien und Instrumente in der schwarzen Tasche verschwinden zu lassen, ließ ein Fläschchen mit Myrrhentinktur fallen. Es rollte unter den Tisch und schien sich dort in Luft aufgelöst zu haben, denn es dauerte eine volle Minute oder noch länger, ehe Irene mit rotem Kopf und ein wenig keuchend wieder aus der Versenkung auftauchte. Sie fegte die wenigen Dinge, die noch auf dem Tisch lagen, mit dem Unterarm in die Tasche hinein, schloß sie und verschwand unter der Andeutung eines Hofknickses aus dem Salon. Auch der Doktor wedelte ärschlings hinaus, er vollführte dabei mit der linken Hand weitausholende Bewegungen, als schwenkte er einen Federhut, während er die rechte Hand mit dem Emirzahn zwischen Daumen und Zeigefinger ans Herz preßte. Sein Abgang ähnelte dem großen Zeremoniell, mit dem sich d’Artagnan und seine drei Musketier-Freunde aus einem Gemach entfernten, in dem ihnen Königin Anna huldvoll eine Audienz gewährt hatte.
    Irene erwartete ihn auf einer der letzten Treppenstufen. In der Halle des Hotels herrschte ein recht lebhafter Betrieb. Livrierte Pagen schleppten die Koffer abreisender Gäste zum Flughafenbus, und eine Gruppe von Amerikanern, zumeist ältere Ehepaare, die sich auf einer Bildungsreise befanden, sammelte sich um einen professoral wirkenden Cicerone, der die Gesellschaft zu den Schätzen der Alten Pinakothek führen sollte. Der Doktor nahm die letzten Stufen, als käme er, von einem furchtbaren Kinnhaken getroffen, mit weichen Knien geradewegs aus dem Boxring.
    »Was sagst du dazu?« stöhnte er und hob die Hand, als beabsichtige er, den Emirzahn in die Hotelhalle zu feuern.
    »Du hättest ihm nicht das Zahnfleisch, sondern den Finger einreiben sollen«, stieß Irene, nach Luft ringend, hervor. Aber die Atemlosigkeit hinderte sie nicht, nach seiner Hand zu greifen und den Zahn des Emirs vor der Vernichtung zu bewahren: »Ich bitte dich, Werner! Du wirst doch das Ding nicht etwa wegwerfen! Denk daran, was uns Hassan über die Emirzähne erzählt hat und wie er das Geschäft daraus mit dir teilen wollte. Und hast du nicht gesehen, wie schwer sich Scheich Omar von dem scheußlichen Ding getrennt hat? Ihm schien es viel zu bedeuten. Weißt du, was wir tun? Wir bieten dem Scheich den Zahn zum Rückkauf an, und ich möchte wetten, daß er dir dafür jeden Preis zahlt.«
    »Irenchen«, stammelte der Doktor überwältigt, »was wäre ich ohne dich! Ich bin doch wirklich ein Idiot, daß mir dieser Einfall nicht selber gekommen ist!«, und er wickelte den Zahn sorgfältig in sein Einstecktuch.
    »Und was ist mit dem Scheck?« fragte Irene. »Hast du ihn denn völlig
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