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Ein Mund voll Glück

Ein Mund voll Glück

Titel: Ein Mund voll Glück
Autoren: Horst Biernath
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aber allein für die Bereitschaft mußte der Doktor dem Mädchen hin und wieder ein paar Mark in die Hand drücken.
    Er hörte, wie die Tür ging und dann — seine Finger schlossen den am Hals bereits geöffneten Mantel in fieberhafter Eile — eine Frauenstimme, ob Herr Dr. Golling noch Sprechstunde habe. Schritte über den Flur, das öffnen der Wartezimmertür, und die Piepsstimme des Bürolehrlings: »Herr Doktor, eine Dame!« Der Doktor drückte den Brustkasten heraus. Jetzt ruhig durchatmen! Und ein wenig mit Papieren rascheln, und quer über den graugrünen Linoleum zum Waschbecken, und tüchtig plätschern, und laut und vernehmlich: »So, gnädige Frau, das haben Sie überstanden. Ja, bitte, hier hinaus, und das nächstemal am Mittwoch um drei!« Und die Tür zu und noch ein bißchen getan, als ob man weiß Gott wie beschäftigt sei. Ein glatter Schwindel, aber wie sonst sollte man sich Achtung und Vertrauen schaffen? Er öffnete die Tür zum Wartezimmer: »Ah, der letzte Patient...«, es klang erleichtert. »Bitte, treten Sie ein.«
    Die Patientin stand neben dem Tisch mit den Illustrierten. Der Doktor achtete darauf, daß bei ihm immer die neuesten Nummern lagen. Bislang hatte er die Kreuzworträtsel allerdings allein gelöst. Sein Blick glitt flüchtig über die Erscheinung der Patientin, flache Wildledersandaletten, schlanke Fesseln, leicht gebräunte, unbestrumpfte Beine, einen hellgrauen Regenmantel und in der Umrahmung dunkelblonder Haare ein Gesicht, dessen linke Seite eine leichte Schwellung erkennen ließ. Die junge Dame sah den Doktor mit einem recht ängstlichen Ausdruck an.
    »Legen Sie bitte ab«, sagte er mit einer einladenden Handbewegung und einem ermunternden Lächeln, »die Garderobenablage befindet sich links neben der Tür.«
    Die junge Dame kam zögernd näher und blieb vor der Tür des Ordinationsraumes stehen. »Einen Augenblick noch, Herr Doktor«, bat sie mit kleiner Stimme, während sich ihre Wangen flüchtig röteten, »ich habe seit zwei Tagen unerträgliche Schmerzen, und ich habe in der letzten Nacht kaum geschlafen, trotz Tabletten...«
    »Sie hätten nicht so lange warten sollen. Wir arbeiten doch nicht mit Brecheisen und Beißzange...«
    »Ich habe keine Furcht...«
    »So?« fragte er mit einem belustigten Zwinkern.
    »Ich habe im Augenblick kein Geld!« sagte sie laut und fest. »Und ich bin in keiner Kasse. Ich werde das Honorar für die Behandlung erst im nächsten Monat begleichen können...«
    Der Doktor schloß für den Bruchteil einer Sekunde die Augen und beugte sich leicht vornüber. Sein Gesicht sah grimmig aus, als verbisse er mit aller Kraft den Ausbruch eines Riesengelächters.
    »Legen Sie ab und treten Sie ein!« sagte er und ging der jungen Dame entgegen, um ihr aus dem Mantel zu helfen. Er ließ seiner Patientin den Vortritt in den Behandlungsraum und ging selber zu dem kleinen Tisch, auf dem seine Kartothek stand. Dann rückte er der jungen Dame einen Stuhl zurecht, zog ein Formblatt aus dem Kasten und griff nach seinem Kugelschreiber.
    »Ihr Name, wenn ich bitten darf...«
    »Irene Faber.«
    »Beruf?«
    Sie zögerte ein wenig: »Ich schreibe...«
    »Sekretärin?«
    »Nein, nicht so — ich schreibe für Zeitungen. Kurzgeschichten, verstehen Sie — nur, ich bringe sie sehr selten an...«
    »Also — Schriftstellerin«, sagte er und setzte den Kugelschreiber an.
    »Bitte nicht«, unterbrach sie ihn kopfschüttelnd, »wenn Sie den Bogen durchaus ausfüllen müssen, schreiben Sie lieber: ohne Beruf.«
    »Wie Sie wünschen«, murmelte er und setzte einen Strich in die Berufssparte; »und nun noch Ihre Anschrift, Fräulein Faber?«
    »Wartbergstraße 23.«
    Der Doktor erhob sich, deutete auf den Operationsstuhl und bat seine Patientin, darin Platz zu nehmen.
    »Wo fehlt es?« fragte er, während er seine Hände unter dem lauen Wasserstrahl kräftig mit der Bürste bearbeitete.
    »Es ist der rechte obere Eckzahn, jedenfalls ging es dort mit den Schmerzen an, aber seit gestern tut es überall weh.«
    Der Doktor ging zum Instrumentenschrank und zog eine Glasplatte heraus, auf der sauber ausgerichtet ein halbes Dutzend Zahnspiegel lagen: »Spricht der Sünder auf Kalt oder auf Warm an?« fragte er, während er einen Spiegel mit einem Lederläppchen polierte.
    »Besonders auf Süß...«
    »Aha!« sagte der Doktor, als hätte ihm Fräulein Faber damit ein ganzes Stück weitergeholfen. »Legen Sie den Kopf bitte in das Nackenpolster.«
    Fräulein Faber ließ den Kopf
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