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Ein Mund voll Glück

Ein Mund voll Glück

Titel: Ein Mund voll Glück
Autoren: Horst Biernath
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auch gar nicht nötig, sich Sorgen zu machen. Aber als dann das Unglück geschah — er hatte einen Auftrag im Rheinland angenommen und rannte mit seinem Wagen hinter Köln auf der Autobahn in einen Lastzug hinein —, da blieben wir fast mittellos zurück.«
    »Sie sagten >wir<...«
    »Ich habe noch eine jüngere Schwester. Sie ist neunzehn Jahre alt und hat im vergangenen Jahr ihre Gesellenprüfung als Schneiderin gemacht. Zuerst war es mir gar nicht recht, daß sie darauf bestand, einen praktischen Beruf zu erlernen. Heute bin ich darüber sehr froh, denn sie verdient gut und macht mir keine Sorgen mehr...«
    »Aber wovon leben Sie, Fräulein Faber?«
    »Wir hatten eine sehr große und ziemlich teure Wohnung. Das war zuerst meine schlimmste Belastung. Ich hätte sie von dem, was uns schließlich blieb, kein halbes Jahr halten können. Aber dann rückten wir zusammen, Marion bekam eine winzige Kammer, und ich richtete mich in der Küche ein. Und dann vermietete ich die übrigen Zimmer. Es sind fünf...«
    »Und davon leben Sie?«
    »Nicht einmal schlecht. Es dürfen nur keine unvorhergesehenen Ausgaben kommen. In diesem Monat mußte ich leider zwei Zimmer tapezieren lassen und für zwei Betten neue Matratzen kaufen. Das riß ein mächtiges Loch in die Kasse!«
    »Das will ich Ihnen gern glauben«, nickte er. »Haben Sie wenigstens ordentliche Mieter?«
    »Damit habe ich richtig Glück gehabt. Es sind zwei Damen, die in einer Bank arbeiten, und drei Herren, von denen zwei Reisende sind. Die beiden sind die ganze Woche unterwegs und machen mir kaum Arbeit. Und der dritte ist Justizbeamter. Ein alter Junggeselle, der für sein Hobby lebt. Er sammelt Unterschriften berühmter Leute.«
    Sie warf einen erschrockenen Blick auf die Uhr über dem Waschbecken, die auf sieben ging. »Ich bitte um Entschuldigung, Herr Doktor, ich schwatze und stehle Ihnen die Zeit und müßte auch schon längst daheim sein...«
    »Ich habe Zeit...«
    »Aber ich muß schleunigst gehen. Meine Schwester hat eine Verabredung. Das Essen soll um sieben auf dem Tisch stehen.« Sie sprang vom Operationsstuhl herab, und der Doktor öffnete die Tür zum Warteraum.
    »Wann können Sie übrigens wiederkommen? Paßt es Ihnen am Freitag?« Er überlegte sekundenlang und ging an den Schreibtisch, auf dem sein Terminkalender lag. Er hielt ihn so, daß sie die gähnend leeren Seiten nicht sehen konnte. Freitag...? Sollte sie im leeren Wartezimmer sitzen? Er hatte sie doch in der Rolle als schwerbeschäftigter Mann empfangen...
    »Ich richte mich ganz nach Ihnen, Herr Doktor.«
    »Ach, wissen Sie«, sagte er und klappte den Terminkalender zu, »kommen Sie lieber am Samstagnachmittag um vier, da brauchen Sie nicht zu warten, weil ich am Samstag keine Sprechstunde halte. Mal muß der Mensch sich ja auch ein wenig Ruhe gönnen, nicht wahr? Das heißt, die richtige Ruhe ist es auch nicht, weil ich an Samstagen den Schreibkram erledige...«, er seufzte auf, als wäre ihm das Ausschreiben von Liquidationen und die Abrechnung mit den Kassen so widerwärtig, daß er es geradezu als angenehme Abwechslung betrachtete, zwischendurch ein wenig ordentliche Zahnarztarbeit leisten zu können.
    »Dann komme ich also Samstag sechzehn Uhr. Auf Wiedersehen, Herr Doktor — und besten Dank!« Sie schlüpfte in den Mantel und nickte ihm einen Gruß zu. Er verbeugte sich stumm.
    »Nun ja«, knurrte er grimmig, als er die Flurtür hörte, »wenn es auch nichts einbringt, so übt es doch das Handgelenk!« und er begann, den weißen Kittel zum zweitenmal aufzuknöpfen. Diesmal gab es keine Unterbrechung. Er räumte die Instrumente in den Schrank, hängte das nasse Handtuch über das Waschbecken und schloß die Tür hinter sich ab. Da der Lift gerade abwärts schnurrte, nahm er die Treppen und blieb, vor der Haustür angekommen, vor dem matt schimmernden Messingschild stehen, das er vor einem knappen Vierteljahr unter dem Kanzleischild von Rechtsanwalt Seehuber hatte anbringen lassen:

Dr. med. dent. Werner Golling
Sprechstunden: Montag/Freitag
9—12 und 15—18 Uhr

    Es war ein wunderhübsches und teures Schild, schwarze Buchstaben auf mattem Goldgrund, aber vielleicht war es ein wenig zu vornehm, zu wenig auffällig in diesem Bürohaus, wo es zwischen Schildern von Grundstücksmaklern, Rechtsanwälten, Film-Verleih-Büros und Versicherungsgesellschaften ziemlich verloren wirkte. Auch die Anzeige in beiden großen Zeitungen, daß er nach langjähriger Assistententätigkeit bei
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