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Ein Mund voll Glück

Ein Mund voll Glück

Titel: Ein Mund voll Glück
Autoren: Horst Biernath
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Professor Dr. Schrötter eine eigene Praxis eröffne, hatte wenig Erfolg gehabt. Ob er es mit einer Wiederholung der Anzeige versuchen sollte? Es kostete wieder einen Haufen Geld, aber vielleicht lohnte sich die Ausgabe dennoch. Zwar war der erste Wechsel erst nach drei Monaten fällig, und schließlich stand Onkel Paul für ihn gerade. Aber wenn er daran dachte, wie rasch die Tage und Wochen seit der Eröffnung der Praxis verflogen waren, ohne daß er bisher auch nur die Butter zum Brot verdient hatte, dann fühlte er, wie seine Handflächen feucht wurden.

2

    Die Schwester seiner Mutter, Tante Hedwig, hatte den Getreide- und Futtermittel-Großhändler Paul Berwanger geheiratet und damit das gemacht, was man früher >eine gute Partie< nannte. Die Firma Berwanger, die seit vier Generationen bestand, hatte immer einen guten Namen gehabt und als solide gegolten, aber richtig groß wurde sie erst, als Paul Berwanger vor rund dreißig Jahren in das Braugerstegeschäft eingestiegen war.
    Der Vater von Werner Golling war jung gestorben. Er war Lehrer und ertrank bei dem Versuch, ein Kind zu retten, im Hochwasser des Mains. Und als Werner im Alter von zwölf Jahren auch noch jdie Mutter verlor — sie starb nach einer Blinddarmoperation an einer Embolie —, war es für die Berwangers eine Selbstverständlichkeit, den verwaisten Jungen zu sich zu nehmen. Ihre eigene Ehe war kinderlos geblieben. So war die Berwangersche Villa für Werner Golling zum Elternhaus geworden, und er hatte hier wahrscheinlich einen üppigeren Lebensstil kennengelernt als jenen, den ihm seine Eltern hätten bieten können.
    Werner Golling wohnte im gleichen Zimmer, das Tante Hedi für ihn eingerichtet hatte, als er zu ihnen gekommen war. Nur die Möbel hatten sich inzwischen verändert. Aus dem Bubenzimmer war eine gemütliche Junggesellenbude geworden mit einer Schlafcouch, bequemen Sesseln und Bücherborden an drei Wänden des Zimmers, denn er war so etwas wie ein Büchernarr und konnte in den Antiquariaten stundenlang herumstöbern.
    Es war einige Wochen her und ein Tag wie jeder andere, als Werner Golling nach Praxisschluß die Haustür um halb sieben aufsperrte, nachdem er dreimal kurz geläutet hatte. Damit gab er Elfriede das Signal, das Abendessen aufzutragen. Als ihm der erste Flaum auf der Oberlippe sproß, hatte Tante Hedi das weibliche Personal bis auf Fräulein Olga, die Köchin — deren Söhne inzwischen erwachsen waren und eigene Familien gegründet hatten —, radikal ausgewechselt und durch Mädchen reiferen Alters ersetzt. Eines davon war Elfriede, die den Haushalt versorgte und demnächst ihren fünfzigsten Geburtstag feierte. Die andere, zu deren Obliegenheiten die groben Hausarbeiten gehörten, hieß Emma und trat kaum in Erscheinung. Man konnte mit ihr, wie Tante Hedi meinte, keinen Staat machen, sie war brummig und hörte schwer, aber sie war enorm fleißig und hatte eines Nachts einen Einsteigdieb mit ihren Riesenpratzen so verbläut, daß er ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte.
    Im Speisezimmer saßen Tante Hedi und Onkel Paul schon am Tisch, als Werner seinen gewohnten Platz einnahm. Onkel Paul schob die Brille auf die Stirn und musterte ihn mit einem kurzen Blick. »Na, du hast auch schon fröhlicher ausgesehen...«
    Werner Golling zuckte mit den Schultern. »Zwei Patienten«, murmelte er bedrückt, »und beide AOK...!«
    Es gab ein kaltes Abendessen, eine Platte mit Aufschnitt und Käse, appetitlich mit Grünzeug und Radieschen garniert. Die Herren tranken jeder eine Flasche Märzen. Für Onkel Paul stand ein Bierwärmer auf dem Tisch, denn er hatte es ein wenig mit Magen und Leber.
    »Ich habe heute im Büro nachgefragt«, sagte er; »da hat man nun ein Dutzend Angestellte, das sind rund vierhundert Zähne, aber alle gesund...«
    Werner Golling brach in ein kleines Gelächter aus und prostete Herrn Berwanger zu, der einen kurzen Kampf zwischen seinem Appetit auf Emmentaler und der Warnung des Hausarztes ausfocht, sich den Magen am Abend nicht zu überladen. Wie gewöhnlich verlor Dr. Hitzler das Gefecht.
    »Ich habe schon mit deiner Tante Hedi darüber gesprochen«, sagte Onkel Paul und fischte sich noch einige Radieschen von der Platte, tunkte sie ins Salzfaß und zerknackte sie zwischen seiner dritten Zahngarnitur, die er sich leider schon eine Weile vor Werner Gollings Praxiseröffnung zugelegt hatte.
    »Ich bitte dich, Paul«, fuhr Tante Hedi dazwischen, »mußt du gerade jetzt davon anfangen?«
    »Wovon
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