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Ein Mund voll Glück

Ein Mund voll Glück

Titel: Ein Mund voll Glück
Autoren: Horst Biernath
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in die Lederstütze sinken, und der Doktor setzte den Wundermechanismus des sündhaft teuren Operationsstuhles in Gang. Die Rückenlehne senkte sich ein wenig, während der ganze Stuhl geräuschlos emporstieg und, vom
    Fuß des Doktors gesteuert, schließlich mit einem leisen Knacken in der erwünschten Lage und Höhe stehen blieb. Fräulein Faber umfaßte mit beiden Händen die griffigen Armlehnen und öffnete den Mund. Der kleine runde Spiegel schwebte, von links nach rechts geführt, hinter der oberen Zahnreihe vorüber. »Ein erfreulich gesundes Gebiß«, stellte der Doktor fast respektvoll fest. Dann aber fuhr, von einer Spritze in seiner linken Hand abgeschossen, ein feiner, eiskalter Wasserstrahl gegen den rechten oberen Eckzahn.
    Fräulein Faber zuckte zusammen.
    »Sie dürfen den Mund wieder zumachen«, sagte Dr. Golling und wandte sich dem Instrumentenschrank zu. Er öffnete einige Fächer, legte sich mehrere Einlagen zurecht und prüfte den Bohrer, ehe er ihn in die Klaue des Handstücks einsetzte. Die sinkende Sonne überflutete den Raum mit rötlichem Licht und tönte die leichte Sommerbräune in Fräulein Fabers Gesicht um einige Nuancen tiefer. Aber es war nur die Vortäuschung einer gesunden Gesichtsfarbe. Das Mädchen machte auf den Doktor einen blassen und überanstrengten Eindruck. Aber ihr Gesicht war sehr anziehend. Sie war fraglos die hübscheste Patientin, die er bisher behandelt hatte, aber das hatte bei dem miserablen Gang seiner Praxis nicht viel zu sagen.
    »Ich stelle mir das Schreiben von Geschichten ziemlich schwierig vor«, murmelte er, während er ihr mit der Bewegung eines Juweliers, der einer Dame ein kostbares Kollier umhängt, ein Leinentuch unter das Kinn legte und es in ihrem Nacken mit einer Nickelklammer befestigte.
    »Ich finde das Unterbringen bedeutend schwieriger«, antwortete sie mit einem schwachen Lächeln.
    »Sie müssen es wissen«, sagte er und schwenkte den Arm des Bohrers näher heran. »Ich werde Ihnen heute eine Einlage machen. Hoffentlich kann ich den Nerv retten. Aber das hängt vom Zustand des Zahns ab. Das nächstemal werden wir mehr wissen.« Er schob ihr ein Tampon unter die Oberlippe und betupfte das Zahnfleisch mit einem scharf riechenden Antiseptikum.
    »Sind Sie sehr empfindlich?«
    »Ich werde es schon aushalten...«
    Der Doktor griff nach dem Handstück und drückte mit dem Fuß auf einen Kontakt. Der Bohrer begann zu summen. Trotz ihrer mutigen Worte blinzelte Fräulein Faber bei dem niederträchtigen Geräusch ein wenig nervös.
    »Es ist wie beim Gewitter«, meinte Dr. Golling tröstend, »den meisten Leuten ist der Donner unangenehmer als der Blitz.«
    »Sie sind sehr freundlich...«, murmelte sie errötend.
    »Öffnen Sie den Mund«, sagte der Doktor, »und wenn Sie nach fünf Minuten noch der gleichen Ansicht sind, dann...«, aber er sprach nicht aus, was dann sein würde. Er kniff die Augen ein wenig zusammen und setzte den Bohrer an. Fräulein Faber stemmte die Sohlen gegen die Fußleiste und umklammerte die Armlehnen so fest, daß die Knöchel spitz und weiß aus den Handrücken hervortraten. Der Doktor arbeitete aufmerksam und schweigend. In der kurzen Pause, in der er ihr gestattete, den Mund zu spülen, während er den Bohrer wechselte und die Tampons durch neue ersetzte, zwinkerte er ihr zu: »Sie haben sich tapfer gehalten, Fräulein Faber. Aber sagen Sie, wußten Sie eigentlich, daß wir unsere Rechnungen erst eine Weile nach beendigter Behandlung zu stellen pflegen?«
    »Gewiß«, nickte sie und sah ihn an, als verstände sie den Sinn seiner Frage nicht recht.
    Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen: »Nun ja«, murmelte er, »ich meine, Sie hätten ja schließlich auch... «, aber er brach mitten im Satz ab und räusperte sich, »jedenfalls finde ich Ihre Ehrlichkeit und Ihren Mut bemerkenswert. Ich weiß nicht, ob ich an Ihrer Stelle wie Sie gehandelt hätte...«
    »Ich wäre mir wie ein Zechpreller vorgekommen«, sagte sie fast unhörbar.
    »Respekt...«, murmelte er und drückte ihren Kopf sanft auf das Nackenpolster zurück. Fräulein Faber öffnete den Mund, und der Doktor trocknete die Stelle, die er behandelte, mit der Warmluftdusche, ehe er sich von neuem an die Arbeit machte.
    Fräulein Faber verspürte nicht mehr den geringsten Schmerz, obwohl die Behandlung noch lange nicht abgeschlossen war. Sogar das Bohren hatte sie nicht als besonders unangenehm empfunden. Der Doktor hatte aber auch eine besonders beruhigende
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