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Ruhe unsanft

Ruhe unsanft

Titel: Ruhe unsanft
Autoren: Agatha Christie
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    G wenda Reed stand fröstelnd auf dem Ankunft s kai. Der Hafen, das Zollgebäude und alles Ü b rige, was sie von England sehen konnte, schwankte noch sacht vor ihren Augen auf und ab.
    In diesen Minuten fasste sie den Entschluss, der zu so folgenschweren Ereignissen führen sollte. Nein, sie wü r de nicht, wie sie beabsichtigt hatte, mit dem Anschlus s zug nach London weiterfahren.
    Wozu auch? Niemand holte sie ab, niemand erwartete sie. Eben erst war sie glücklich von den knarrenden Schiffsplanken herunter – die letzten drei Tage durch die Biscaya nach Plymouth waren besonders strapaziös gew e sen –, und das Letzte, was sie sich wünschte, war das Einsteigen in einen ratternden, wackelnden Zug. Lieber ging sie in ein Hotel, ein nettes, solides Hotel, das auf festem, solidem Boden stand. Und dort würde sie sich in ein schönes, solides Bett legen, das nicht wie eine scha u kelnde Wiege hin und her schwang. Sie würde sich richtig ausschlafen, und am nächsten Morgen… Ja, natürlich, was für eine großartige Idee! Da konnte sie sich einen Wagen mieten und ohne Eile durch Südengland fahren, um sich nach einem Haus umzusehen, einem hübschen Haus, in dem sie und Giles künftig miteinander leben würden. Wirklich, ein glänzender Gedanke!
    Auf diese Art würde sie gleich etwas von England s e hen, das sie bisher nur aus Giles’ Erzählungen, nicht aus eigener Anschauung kannte, obgleich sie es wie alle Ne u seeländer »die alte Heimat« nannte. Im Moment machte England allerdings keinen sehr anziehenden Eindruck. Der Tag war grau, nasskalt und windig. Vermutlich, dac h te Gwenda, während sie folgsam in der Passagierschlange zur Pass- und Zollabfertigung weiterrückte, war Pl y mouth nicht gerade das beste Schaufenster Englands.
    Am folgenden Morgen wurden ihre ersten Eindrücke jedoch gründlich umgeworfen. Die Sonne schien. Der Blick aus ihrem Fenster war reizvoll, und die Welt im Allgemeinen wogte und wankte nicht mehr, sondern ha t te sich beruhigt.
    Dies war endlich England, und dies war sie, Gwenda Reed, frisch gebackene junge Ehefrau auf Reisen. Wann Giles nach England nachkommen würde, war noch etwas unsicher. Vielleicht folgte er ihr in ein paar Wochen, aber es konnte auch noch bis zu einem halben Jahr dauern. Darum hatte er Gwenda vorgeschlagen, allein nach En g land vorauszufahren und ein passendes Haus ausfindig zu machen. Beide malten es sich als erstrebenswert aus, i r gendwo ein ruhiges Plätzchen auf Dauer zu haben. Zwar würde Giles weiterhin beruflich oft verreisen müssen und Gwenda würde ihn gelegentlich begleiten, aber es war doch ein schöner Gedanke, dann immer wieder wirklich nachhause in die eigenen vier Wände zu kommen. Da Giles von einer verstorbenen Tante kürzlich einige sch ö ne alte Möbel geerbt hatte, war es das Vernünftigste und Praktischste, damit ein eigenes Heim zu gründen.
    Da sie beide ziemlich vermögend waren, machte auch die finanzielle Seite ihres Planes keine Schwierigkeiten.
    Gwenda hatte zunächst Bedenken geäußert, das Haus ganz allein auszusuchen. »So was sollte man doch z u sammen machen«, meinte sie. Aber Giles hatte lachend erwidert: »Ich habe von Häusern nicht viel Ahnung. Wenn dir eins gefällt, wird es mir recht sein. Ein Garten gehört wohl dazu, und überhaupt – natürlich keiner von diesen neuen Betonklötzen, und nicht zu groß. Irgendwo an der Südküste, das war mein Traum. Jedenfalls nicht zu weit im Binnenland.«
    »Denkst du an einen bestimmten Ort?«, hatte Gwenda sich erkundigt.
    Giles verneinte. Er hatte seine Eltern früh verloren – sie waren beide Waisen – und war in den Schulferien so viel bei verschiedenen Verwandten herumgereicht wo r den, dass ihn nichts mit einer besonderen Gegend ve r band. Es sollte Gwendas Haus werden – und warum so lange warten, bis sie es gemeinsam aussuchen konnten? Gesetzt den Fall, er wurde noch monatelang aufgehalten – was sollte sie dann in der Zwischenzeit mit sich anfa n gen? Immer nur in Hotels herumhängen? Nein, da suchte sie sich doch lieber ein Haus aus und begann mit dem Einrichten.
    »Mit anderen Worten«, sagte Gwenda lachend, »ich soll dir alle Schwierigkeiten abnehmen!«
    Aber der Gedanke, Giles bei seiner Ankunft ein fert i ges, gemütlich eingerichtetes Heim zu präsentieren, reizte sie. Sie waren erst ein Vierteljahr verheiratet, und sie lie b te ihn sehr. Nachdem sie im Bett gefrühstückt hatte, pla n te sie ihre nächsten Schritte. Sie verbrachte einen Tag mit
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