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Ruhe unsanft

Ruhe unsanft

Titel: Ruhe unsanft
Autoren: Agatha Christie
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tisch, in Gedanken bei ganz anderen Dingen, genau auf die eine Stelle zugesteuert, wo die Tür sich früher tatsäc h lich befunden hatte.
    Hoffentlich bin ich keine Hellseherin oder so etwas Ähnliches, dachte Gwenda beunruhigt. Soviel sie wusste, war sie immer vollkommen normal gewesen. Sie gehörte nicht zu den Übersensiblen. Oder etwa doch? Wie war das mit den Steinstufen, die von der Terrasse zum Rasen führten, vielmehr geführt hatten? Hatte sie auch da etwas geahnt, weil sie so sehr auf einer Wiederherstellung b e stand?
    Vielleicht bin ich doch für übersinnliche Einflüsse em p fänglich, überlegte sie unbehaglich. Oder lag es am Haus?
    Warum hatte sie Mrs Hengrave bei der Besichtigung die Frage gestellt, ob es hier spuke?
    Es spukte nicht, es war ein wunderschönes Haus! Mrs Hengrave hatte mit Recht über so eine Idee gestaunt. Oder war in ihrer Reaktion nicht doch eine Spur von Reserve und Vorsicht gewesen?
    Mein Gott, ich fange noch an, mir Dinge einzubilden, dachte Gwenda und zwang sich, sachlich mit Taylor zu reden, was ihr auch gelang.
    »Ach, noch was«, fügte sie am Schluss hinzu. »Oben in dem kleinen Erkerzimmer ist ein Einbauschrank abg e schlossen und übermalt. Können Sie den wieder öffnen?«
    Der Mann ging mit ihr hinauf und nahm die Sache in Augenschein.
    »Die Tür ist sogar mehrmals übermalt worden«, erklärte er. »Ich besorge jemand, der ihn morgen aufmacht, wenn Ihnen das passt.«
    Gwenda sagte, es passe ihr sehr gut, und Taylor vera b schiedete sich.
    An diesem Abend war sie schreckhaft und nervös. Während sie im Salon saß und zu lesen versuchte, hörte sie jedes Knacken der alten Möbel überdeutlich. Manc h mal überlief sie ein Schauder, und sie blickte unruhig über die Schulter. Immer wieder sagte sie sich, dass an den Vorfällen mit der Tür und den Gartenstufen nichts Übe r sinnliches sei. Beides ließ sich mit gesundem Mensche n verstand ganz einfach erklären.
    Obwohl sie es nicht wahrhaben wollte, graute ihr etwas vor dem Zubettgehen, und als sie sich endlich überwand, die Leselampe auszuknipsen und in die Halle hinauszutr e ten, fürchtete sie sich noch mehr vor der Treppe. Sie rannte beinahe die Stufen hinauf, hastete den Flur entlang und stürzte atemlos in ihr Zimmer. Kaum war sie dort, verflog ihre Angst. Aufatmend sah sie sich um: Ja, hier fühlte sie sich geborgen und glücklich, hier war sie sicher. (Sicher wovor, du Dummkopf?, fragte sie sich sofort.) Sie griff nach ihrem Pyjama und schlüpfte in die Pantoffeln.
    Wirklich, schalt sie sich, du benimmst dich wie ein kle i nes Kind! Du solltest dir Hausschuhe mit Hasenmuster kaufen, wie für eine Sechsjährige. Mit einem Gefühl der Erleichterung ging sie zu Bett und war bald eingeschlafen.
     
    Am nächsten Morgen hatte sie in der Stadt einiges zu erledigen und kam erst zur Mittagszeit nachhause.
    »Die Leute haben den Schrank aufgemacht«, berichtete Mrs Cocker, als sie die gebackene Seezunge mit Karto f felbrei und Karottengemüse hereinbrachte.
    »Sehr gut«, sagte Gwenda und machte sich mit Appetit über das Mittagessen her. Nach dem Kaffee im Salon ging sie in das kleine Schlafzimmer hinauf, trat zur Wand und öffnete die Schranktür.
    Dann entfuhr ihr ein leiser Schreckensschrei, und sie starrte wie versteinert ins Innere.
    An der Rückseite war die ursprüngliche Tapete des Zimmers erhalten geblieben, die überall sonst mit der senfgelben Wandfarbe übermalt worden war. Kein Zwe i fel: Früher war das ganze Zimmer hell und farbenfroh tapeziert gewesen. Das Muster zeigte Mohn- und Kor n blumensträußchen.
    Gwenda brauchte lange, bis sie sich von dem Anblick losreißen, mit weichen Knien zum Bett wanken und sich auf die Kante setzen konnte.
    Was war los? Hier saß sie in einem kleinen Haus, das sie bis vor ein paar Wochen noch nicht gekannt hatte, in einem Land, in dem sie nie zuvor gewesen war, und doch hatte sie sich erst gestern Früh im Bett ausgemalt, wie sie dieses Zimmer dekorieren wollte – mit einer Tapete, die schon frühere Bewohner an der Wand gehabt hatten.
    Bruchstückhafte Erklärungen wirbelten ihr durch den Kopf. Dünne fiel ihr ein und seine Zeitexperimente… In die Zukunft sehen, nicht in die Vergangenheit…
    Die Sache mit den Stufen im Garten und der Verbi n dungstür konnte man noch als Zufälle gelten lassen, aber hier hörten sie auf. Man konnte sich nicht eine Tapete mit einem so auffallenden Muster ausdenken und sie dann prompt hinter einer jahrelang verschlossenen
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