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Ein Mund voll Glück

Ein Mund voll Glück

Titel: Ein Mund voll Glück
Autoren: Horst Biernath
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eifersüchtige Verehrer auf Lager hat. Alle vierzehn Tage einen — und man könnte sich zur Ruhe setzen.«
    »Hau endlich ab, du Witzbold, und leck deine Wunden. Ich schau am Nachmittag zu dir herein.«
    Er konnte endlich heimfahren. Da der Wagen seit zwei Stunden in der prallen Sonne gestanden hatte, herrschte in seinem Innern die Temperatur einer auf Höchststufe eingeschalteten Bratröhre. Das Lenkrad glühte, und das Sitzpolster war so heiß wie der Rost, auf dem man den heiligen Laurentius gebraten hatte. Die einzige Abkühlung brachte dem Doktor der Gedanke, daß ihm die Begegnung mit Tante Hedi bevorstand, deren unerschöpflicher Wissensdurst einen Mann schon frösteln lassen konnte. Nach einer viertelstündigen Tortur stellte er den Wagen in der Berwangerschen Garage ab und schlich schweißgebadet zu seinem Zimmer hinauf, ohne jemandem zu begegnen. Da man sich im Hause Berwanger um ein Uhr zu Tisch setzte, hatte er eine gute Viertelstunde Zeit, sich zu duschen und die Wäsche zu wechseln. Mit dem Glockenschlag eins ließ Elfriede in der Diele den Gong ertönen. Fünf Minuten später wurde das Essen aufgetragen. Der Doktor stieg erfrischt und mit dem selten gewordenen Gefühl eines rechtschaffenen Hungers die Treppe hinab. Manchmal wünschte man sich die Zeiten, in denen es einem weniger gutgegangen war, fast zurück.
    Durch die offene Doppeltür des Speisezimmers sah er Onkel Paul an der Kredenz stehen. Vor ihm standen einige flache Kristallschälchen die Silberdose mit Eiswürfeln und eine Flasche weißer Vermouth. Nanu — Aperitifs vor dem Essen gehörten nur bei ganz besonderen Anlässen zu den Gepflogenheiten des Hauses.
    »Einen, zwei oder drei Eiswürfel?« hörte er Onkel Paul fragen.
    »Zwei, wenn ich bitten darf«, antwortete eine sehr bekannte und geliebte Stimme. Er setzte zu einem Spurt an und war mit vier langen Schritten im Speisezimmer. Und da saßen die Damen einträchtig am runden Tisch und schienen sich prächtig zu verstehen, links Tante Hedi, und rechts Irene!
    »Du nimmst doch auch einen, Werner?« fragte Onkel Paul, als ob Irenes Anwesenheit keiner Erklärung wert und die selbstverständlichste Sache von der Welt sei.
    »Grüß dich, Werner«, sagte Tante Hedi und deutete auf seinen angestammten Platz, »oder willst du die Rindsrouladen im Stehen zu dir nehmen?«
    »Irene...«, stammelte er fassungslos, »wie kommst du denn hierher?«
    »Furchtbar einfach«, antwortete Tante Hedi für Irene, »wir haben sie abgeholt und mitgenommen.«
    »Nun trink mal erst einen Schluck, mein Junge«, sagte Onkel Paul und reichte Werner eine Schale, »du scheinst mir ein bißchen durcheinander zu sein. Was ist mir dir los?«
    »Ich glaube wieder an den Weihnachtsmann...«, murmelte Werner und leerte das Glas auf einen Zug, »und an den Osterhasen und ans liebe Christkind — und alle sehen genau wie Tante Hedi aus!«
    »Er ist ein lieber Junge«, sagte Tante Hedi und tätschelte Irenes Hand, »er konnte sich immer so herzlich freuen, wenn er die Ostereier fand, die wir im Garten versteckt hatten, oder wenn er die Lok für seine Eisenbahn bekam, die er sich gewünscht hatte. Du freust dich doch jetzt auch, Werner, nicht wahr?«
    »Ich bitte dich, Tante Hedi«, sagte er und faltete flehend die Hände, »mach es nicht so spannend! Wie bist du auf diese Überraschung gekommen?«
    »Ja, glaubst du denn«, antwortete Tante Hedi mit ihrer gewöhnlichen Stimme, die durchaus nichts von der Sanftmut der guten Fee aus dem Märchen an sich hatte, »ja, glaubst denn du, daß ich warten wollte, bis du gnädig geruhst, mir deine Irene vorzustellen? Du hast Onkel erzählt, wie sie heißt und wo sie wohnt. Und da sind wir eben zu ihr hingefahren. Und komisch, als sie mir die Tür öffnete, da wußte sie sofort, wen sie vor sich hatte. >Tante Hedi, nicht wahr?< sagte sie...«
    »Weil mir in der Aufregung der Name Berwanger nicht einfallen wollte«, fiel Irene erklärend ein.
    »Und da sagte ich«, fuhr Tante Hedi fort, »dabei wollen wir es auch bleiben lassen.«
    »Ja, genauso war es«, bestätigte Onkel Paul. Er nahm Werner das Glas ab und füllte es zum zweitenmal. »Jetzt bist du einen voraus, was ich dir gar nicht gönne. Dafür gönne ich dir und deiner reizenden und tüchtigen Braut jetzt und für immer alles Glück, das ihr beide euch für die Gegenwart und Zukunft wünscht!«
    »Und darauf wollen wir alle miteinander anstoßen!« sagte Tante Hedi feierlich.
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