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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht
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war sein Umgang mit den Kameraden ein nur oberflächlicher und gelegentlicher gewesen, im Schulhause selbst und an den verschiedenen Stätten und Plätzen körperlicher Übung und Erziehung.
    Jener Junge hieß Günther Ligharts, stammte aus dem Norden und war vornehmer Leute Kind. Als Lorenz Castiletz aus dem Munde seines Söhnchens in zufälliger Weise den Namen hörte, wußte er über die Familie gleich Bescheid. Sie bewohnte ein großes Haus, das im Villenviertel der Stadt lag. Der kleine Günther hatte zum erstenmal auf dem Heimwege von der Schule mit Kokosch etwas länger gesprochen und war dabei mit ihm gegangen, obwohl die Straßenbahn, welche jener benutzen mußte, in einer anderen Richtung zu erreichen gewesen wäre. Nun, als Mittelschüler, pflegte man allerdings die lange gerade Straße bis zur Brücke über den Kanal nicht mehr aus Leibeskräften bergabrennend zurückzulegen, sondern man schlenderte gemächlich und hatte daher Zeit zu Gesprächen. Ja, man ging sogar eben wegen dieser Gespräche recht langsam und blieb an den Ecken stehen. Kokosch erzählte, wie es ihm gelungen sei, die Molche zu füttern. Er hatte Regenwürmer ausgegraben, aber eigentlich wenig Hoffnung gehabt, daß die Salamander in der Gefangenschaft fressen würden, und deshalb schon beschlossen, die Tiere von Zeit zu Zeit auszutauschen, das heißt, andere zu fangen und die bisherigen Bewohner des Aquariums an dem Orte ihrer Herkunft wieder in Freiheit zu setzen. Jedoch als er zum ersten Male einen Wurm in das Wasser des Behälters hineinhängen ließ, dauerte es gar nicht lange, bis ein Molch herbeischoß und anbiß, den Wurm mit seltsam schaukelnden Bewegungen Stückchen um Stückchen in sich hineinbeutelnd, bis er ganz verschwunden war. Ja, Kokosch bemerkte bald, daß er dabei das andere Ende des Regenwurmes nicht loszulassen, sondern nur ein wenig nachzugeben brauchte: den Salamander störte das wenig, er fraß sozusagen aus der Hand. Ließ jedoch Conrad los, dann geschah es häufig, daß ein anderer von den drei schwarzen Brüdern das freie Ende verschluckte, worauf es am Grunde des Wassers nun zwischen beiden Fressern zu einer Art Tauziehen kam – die Kämpfer stemmten dabei ihre Beinchen höchst niedlich gegen den Boden – oder aber die Schlingenden schließlich mit den Köpfen zusammenstießen und jeder sein Teil abbiß.
    »Du, höre, das möchte ich aber gerne sehen«, sagte Günther, »darf ich mal zu dir kommen?«
    »Ja freilich!« antwortete Kokosch erfreut. Günther ging noch bis über die Brücke mit. Ein Dampfer kam den Kanal herab und legte seinen hohen Schornstein um. Die Jungen, über das Geländer gebeugt, sahen zu, wie das Schiff, mit den vielen Einzelheiten seines Decks und den Männern, die sich darauf bewegten, unter ihnen wegglitt, wobei man durch einige Augenblicke die Empfindung hatte, samt der ganzen Brücke stromauf zu fahren.
    Kokosch hielt seine Molche drei Tage lang knapp bei Futter, sammelte aber Würmer von geeigneter Größe in die Blechbüchse ein.
    Am dritten Tage gegen fünf Uhr kam Ligharts, wie verabredet. Als es schellte, lief Conrad in den Vorraum. In dem lichten Treppenhause stand der blonde Junge vor der Tür, und Conrad fühlte sich, wie schon einmal, in seltsamer Weise bewegt durch Günthers Antlitz, das, wenn auch breit und mit auseinandergestellten Augen, doch eine Überschärfung der Züge wies, als hätte man jeden einzelnen noch einmal nachgezogen, und eine Zierlichkeit im Ausdruck, die irgendein weit hinter diesem Gesichte liegendes sehr helles Geheimnis ahnen ließ.
    Während sie dem putzigen Herumschießen, Schnappen und Beuteln der Molche zusahen – Günther konnte davon nicht genug bekommen, und sie verfütterten den gesamten Vorrat aus der Blechbüchse – trat das Mädchen ein, das auf Weisung Frau Leontinens für beide Knaben den Nachmittagskaffee und Kuchen brachte. Conrad setzte sich mit Ligharts, nachdem sie im Badezimmer die Hände gewaschen hatten, an das kleine Tischchen vor dem breiten Fenster, und Günther, der sich hier augenscheinlich wohl zu fühlen schien, langte gleich zu. »Eine schöne Aussicht hast du da«, sagte er, mit dem Kuchen im Mund, schluckte und setzte hinzu: »Dieses Zimmer ist überhaupt gut, ich meine, es muß hier gut sein, und das ist doch sehr wichtig.« »Ja«, antwortete Conrad und wurde für einen Augenblick nachdenklich, »es ist wichtig.« Ligharts sprach ein ganz außerordentlich reines Deutsch, wovon er niemals ab wich. Es war jedoch
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