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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht
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diese Sprache, die nicht nur von einer grammatikalischen Ordentlichkeit lebte, unbestimmbar nach ihrer Herkunft: man hätte daraus nicht sogleich entnehmen können, daß dieser Knabe gerade aus dem Norden stammte. Vielmehr schienen Sprachton und Ausdrucksweise sich von vielen, ja vielleicht von allen deutschen Mundarten sozusagen im geheimen zu nähren, wodurch Günthers Art zu reden bei aller Sauberkeit doch nie der Wärme ermangelte. Conrad vermochte sich diesen Sachverhalt allerdings nicht klarzumachen, jedoch er empfand ihn lebhaft auf seine Art.
    »Du lernst fechten?« fragte Günther, als er Conrads Fechtzeug, Rapier, Maske und Handschuh, in der Ecke sah. »Aber in der Schule nimmst du nicht am Fechtunterricht teil.«
    »Mein Vater meint, daß beim Fechten mehr Einzelunterricht notwendig sei, als man in der Schule erteilen könne. Er ist heute noch Vorsitzender des Fechtklubs ›Hellas‹ und läßt mich dort mit dem sogenannten Nachwuchs unterrichten.«
    »So dachte ich auch oft«, meinte Günther, »daß nämlich diese Übungen in langen Reihen, zu dreißig und vierzig, nie den Wert eines Einzelunterrichtes erreichen könnten. Zudem ist mein alter Herr der gleichen Meinung.«
    »Willst du bei ›Hellas‹ fechten? Ich sag’s meinem Vater, und er läßt dich in den Nachwuchs aufnehmen.«
    »Ja doch! Wenn du das einrichten könntest, das wäre fein.«
    Günther begann plötzlich wieder von den Tieren zu sprechen und fragte mitten aus diesem Zusammenhang, ob Conrad ein Bild ›Der Kampf mit dem Drachen‹ von einem Maler namens Böcklin kenne.
    Nein, Conrad kannte das Bild nicht. »Dort ist der Drache wie ein Molch gebildet, ganz so wie die deinen dort oben, nur groß und gepanzert«, holte Günther aus. Was nun zum Vorschein kam, war erstaunlich. Er wußte genauesten Bescheid in diesem Teile der Geschichte des Tierreiches: etwa, daß die Lurche gegenüber den Reptilien einen älteren Zweig darstellten, wovon man viele Überreste besitze, daß aber heute noch eine sehr große Salamanderart in Japan lebe, über einen Meter lang. Weiter sprach Günther von den eigentlichen Drachen früherer Zeitalter, von den Schlangendrachen, den Flugdrachen, deren Schwingen bis zu neun Metern klafterten, von den riesenhaften ungeflügelten Arten, wandelnden Bergen gleich: und er beschrieb lebhaft und genau die damalige Landschaft, und sagte, das Antlitz der Erde unter dem heißen blauen Himmel jener Zeiten müsse einen Zug unendlicher Leere und Offenheit gehabt haben, mit den wandernden Gruppen zauberischer stummer Tiere, den flachen Bergen, den eben erst vom Wasser verlassenen Ebenen, den starren Formen der Schachtelhalmwälder mit ihren von Leben wimmelnden Sümpfen.
    Conrad sah in den Abend hinaus, der schon mit breiten rötlichen Lichtbahnen über den Stadtteil jenseits des Kanales trat. Eine Fensterreihe begann im Widerschein zu strahlen. Was er eben hörte, schien ihm wunderbar und neu. Aber das eigentlich Neue, wie es ihn berührte, war, daß Ligharts sich offenbar ganz aus eigenem mit alledem beschäftigt hatte. Man konnte also aus freiem Entschluß und Ermessen sich irgendeiner Sache zuwenden. Man konnte also – in irgendeine Richtung gehen. Er sah sich plötzlich selbst dort am Wasser auf dem waagrecht laufenden Stamme des Baumes sitzen, ganz still sitzen. Aber was dies nun bedeuten mochte, das wußte er nicht.
    »Du hast dich mit alledem beschäftigt?« sagte Kokosch. »Und wie kamst du darauf, wie verfielst du gerade darauf?«
    »Ja«, antwortete Ligharts, »das könnte ich nun gar nicht angeben. Weißt du denn, wie du eigentlich auf deine Molche verfallen bist? Hast du denn eines Tages dich selbst gefragt: was will ich haben? – und die Antwort lautete: ich will Molche haben?«
    »Nein, so war es nicht«, sagte Conrad.
    »In der Tat, so war es nicht, auch bei mir nicht. Sollte aber wohl so sein. Dann wäre man – frei und täte, was man will.«
    »Frei – « sprach Conrad nach. Ein kleines Glucksen ertönte in der folgenden Stille. Er blickte, beinah verstohlen, zum Aquarium hinauf. Ligharts bemerkte es wohl.
    »Komm«, sagte er, »laß mich deine niedlichen Burschen noch einmal ansehen. Sie sind zu nett.«
    Nun standen sie wieder auf Stühlen und schauten in das Becken hinein, dessen Wasser von zwei Taschenlampen durchleuchtet war, denn Ligharts hatte auch eine im Sack gehabt. Die zarte, tiefschwarze Haut der Tiere glänzte auf, wenn der Lichtkegel sie streifte, und ihre platten Ruderschwänze erschienen ganz
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