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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht
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Verwunderung, ohne Angleichung an die Sprechweise seines Gegenüber: es klang ihm selbst, als hätte er aus einem Schulbuch vorgelesen, und er lachte. Der Eimer wurde wieder halb gefüllt, der Neuling hineingesetzt. Nun behielt jedoch Conrad sein Gefäß bei sich, was auch wegen der zu erhoffenden Beute besser war, denn er ging wieder weit um den ganzen Tümpel auf die andere, tiefe Seite.
    Es dauerte lange genug, bis Ersatz für die entwendeten Tiere gefunden war, jedoch befand sich darunter das größte Stück, welches Conrad bisher überhaupt gesehen hatte. Als wieder drei Molche im Eimerchen herumschwänzelten, fing Conrad dennoch weiter, aber was er nun erbeutete, brachte er den Jungen und setzte es in ihre Gläser. Jene zeigten sich zum ersten Male einigermaßen freundlich gegen ihn – und vornehmlich der eine, dem er sozusagen den Text aus dem Lehrbuch gelesen hatte – sie dankten für die Stücke, die er ihnen gebracht, liefen alle um den roten Eimer zusammen und bewunderten den »Riesen«.
    Als Kokosch jedoch gesprächig wurde und sich, sonderlich auf dem Heimwege, mit Gewandtheit der Ausdrucksweise seiner neuen Freunde befliß, versanken diese wieder in ihre frühere Einsilbigkeit.
    Zu Hause angelangt, weihte Conrad sogleich nach dem Aufschließen der Türe das Stubenmädchen in seinen neuen Schatz ein. Sie war eine ganz junge und noch recht kindische Person, die dem Knaben stets wohl wollte. In seinem Zimmer betrachteten beide angelegentlich die Tiere im Eimer und beschlossen dann, diesen auf den Kasten hinaufzustellen, welches der sicherste Platz war, und die Beschaffung eines größeren und standfesteren Gefäßes.
    Es gab einen Glasermeister beim Schulgebäude – sein Geschäft sollte übrigens in Kokoschs näherer Zukunft noch eine bedeutende Rolle spielen – der auch allerhand Waren seines Zweiges führte, Spiegel, Krüge, Flaschen, mancherlei Gefäße für besondere Zwecke, und obendrein kleinere und größere Wasserbehälter oder Aquarien. Sie waren völlig aus Glas gegossen, in flacheren oder höheren Formen zu haben, und Conrad hatte sie oft in dem kleinen Schaufenster stehen gesehen, ohne ihnen weitere Beachtung zu schenken: jetzt aber entsann er sich ihrer. Als am nächsten Tage die Schularbeiten überblickt und nach zwei Stunden auch beendet waren – Geschäftsdispositionen und ihre Durchführung, um mit Lorenz Castiletz zu reden, und eigentlich paßte das gut auf die Haltung des Söhnchens in diesen Sachen! – danach also machte sich Conrad, unter Mitnahme seiner gesamten Barschaft, auf den Weg zum Glaser. Hier zeigte sich erfreulicherweise, daß die Preise weit niedriger waren als Kokoschs Voranschlag, und so konnte ein Gefäß von ziemlicher Größe als Palast für die Molche angeschafft werden. Es war länglich und mehr breit als hoch. Halb mit Wasser gefüllt – dieses wurde eigens in einem großen alten Kruge aus dem Tümpel geholt, samt den schwimmenden Linsen und anderen Pflanzen – entsprach es seinem Zwecke vollkommen, und die schwarzen Tiere schwänzelten eilfertig darin herum, mit Bewegungen, die manchmal ein wenig an die der Forellen erinnerten.
    Es war eine seltsame Zeit. Es war die Molchzeit! Kokosch erwachte des Nachts in seinem Bette, das so stand, daß er von den Kissen durch das zweite Fenster gerade gegenüber hinaussehen konnte. Einzelne Dachkanten des ansteigenden Stadtteiles jenseits vom Kanale setzten sich fern und von irgendeinem unbestimmten Lichtschimmer bestrahlt vor dem dunklen Himmel ab. Ein Scheinwerfer wanderte mit seinem Widerglanz über die Zimmerdecke. Ein ferner Eisenbahnpfiff ertönte von der Gegend des Rennplatzes her, wo der Bahnkörper lief. Unweit davon lag in der Dunkelheit auch der Molchtümpel. Ob die Tiere wohl Heimweh hätten, fragte Conrad sich plötzlich. Ein leises Glucksen ließ sich hören; sie erzeugten oft solche kleinen nächtlichen Geräusche, die in Kokosch ein beinahe zärtliches Gefühl erweckten. Er glitt aus dem Bett, nahm seine elektrische Taschenlampe und, auf einem Sessel stehend, beleuchtete er das Aquarium oben am
    Kasten. Da stieg schon einer auf und ab hinter der Glaswand, durch sachte Ruderschläge des platten Schwanzes sich hebend, beim Sinken die Vorderbeine ausgebreitet, die wie kurze Arme mit kleinen Händchen aussahen. Der breite Kopf war Kokosch zugewandt, und die winzigen dunklen Perlen der Augen sahen ihn geruhig an.
    3
    Um diese Zeit gewann Kokosch, eigentlich erstmalig, einen Freund in der Schule, denn bisher
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