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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht
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schlug rund und plump ein und verschwand mit einer Art von Schlucklaut für immer in die Nacht.«
    Das Schlimmste des fünfzehn Kilometer langen Weges war das letzte Stück gewesen, fast ein Drittel. Denn sie folgten, Lauffen links liegen lassend, der Zaber, welche hier ganz den gleichen Bogen macht wie das Ringgebirg, daran sie entlangfließt. »Es war ein gewaltiger Umweg, der Sicherheit halber. Hätte ich diese Gegend nicht von früherem Wandern her bis in alle Einzelheiten gekannt, ich meine, wir wären irgendwo hängen geblieben oder zu spät gekommen. Margits Nerven begannen zudem, unter der Nachwirkung des Erlebten, bei diesem Nachtmarsche zu versagen.« Hier gab’s nun keine Straße mehr. Diese und das Bähnchen nach Brackenheim und Leonbronn überschritten sie endlich, den Fluß verlassend, und folgten sodann, immer unten am Ringgebirge, dem gleichen Wassergraben wie acht Jahre später Conrad, nur eben von der anderen Seite her dem Bahnkörper und dem Tunnelmunde sich nähernd.
    »Nun also, Sie fanden den ganzen Schmuck«, sagte Castiletz, etwas ungeduldig werdend, »und zwar kann ich Ihnen sagen, wo: vor dem Tunnel, zwischen den Geleisen, auf jenem verbreiterten, gekiesten oder geschotterten Platze, wo die Signalglocke steht. Einzelne Stücke vielleicht innerhalb der letzten fünfzig Meter des in Frage kommenden Stollens.«
    Aber zugleich, während er fast ärgerlich sprach, war in ihm – Bewunderung: Bewunderung für jenen anderen Menschentypus und seine Fähigkeiten, mittels deren man freilich imstande war, die Geleise des Lebens zu wechseln. Nie – das sah er klar, wie er sich selbst und dieses sein Leben jetzt überblickte – wäre in ihm das Vermögen gewesen, jene Nacht auf der Straße, etwa zwischen Klingenberg und Lauffen, zu ertragen, sie zu leben, diese Nacht, bei solchem Vorhaben, bei solcher herrschender Unordnung eigenen Daseins. Jetzt, wo er sich selbst gleichsam eingeholt hatte, sich daher durchschaute bis auf den Grund des schwächsten Punkte hinab, von sich selbst daher befreit war und köstlich dieser Freiheit genoß: jetzt zum ersten Male sah er auch mit nie erlebter Deutlichkeit einen anderen Menschen, über jenen Abgrund hinüber, der Charakter von Charakter trennt. Gerade diese verliehene Fähigkeit aber – jedoch man bedenke: um welchen Preis war sie verliehen worden! – ließ ihn, bei aller Bewunderung des anderen, doch eine deutliche Überlegenheit empfinden, von dem festen Punkte aus, an welchem er hielt: denn hier stürzte unruhiger Wechsel vorbei, veränderte sich das Antlitz, zuckte die Seele wie eine Kerzenflamme im Zugwind.
    »Sie irren sich«, sagte Botulitzky angestrengt. »Ob Sie es nun glauben mögen oder nicht. Wir fanden einiges, ja.« Und, als sehe er eine Vision vor sich, als starre er in diese hinein, mit erweiterten Augen, fuhr er fort: »Es war im Morgengrauen, das noch dicht im Walde lag, wo wir warteten. Kein Blatt regte sich. Wie die Nachtmahre huschten wir dann hervor, als der nun endlich entscheidende Augenblick gekommen schien, und das Licht, welches uns zu zögern nicht mehr erlaubte. Über die Böschung emportauchend, erspähte ich das erste Stück. Klein lag es da, aber wirklich. Wir rafften. Ich sehe jetzt noch Margit vor mir, einen geknickten, huschenden Schatten, als sei sie grau von der Nacht, daraus wir hervorgesprungen waren. Mit der Taschenlampe lief ich zum Beschlusse in den Tunnel, rechts vom Gleis, ich stolperte, aber meine Augen rissen den Boden zu mir empor, als wollte ich ihn sieben. Eine Armspange lag unweit vom Eingang, dann der Ohrring, dann nichts mehr.«
    Er schwieg und verdüsterte sich schwer. Es war wirklich so, als starre er vor sich hin auf das finstere Doppelportal des Tunnels, tief in jene Augenblicke seines Lebens hinein und, wie damals, nicht wissend, ob es hier noch irgendwie hindurchgehen könne.
    Castiletz dachte, daß er – in diesem Sinne wie Botulitzky – eigentlich nie gelebt habe. Er war weitergegeben worden wie ein Postpaket. Seine Feststellung erfolgte kühl, kränkte ihn keineswegs, sie war sozusagen nur naturgeschichtlich. Zwischendurch fiel ihm Maria Rosanka ein. Und dann, ein weiterer, rascher, müheloser Flug: jene kleinen Jungen, welche Ligharts am Molchtümpel einst verprügelt hatte – dann redeten sie gleich was von der Polizei! Botulitzky, mit seinen früheren läppischen Drohungen, war eigentlich auch so einer.
    »Sie erbeuteten jedenfalls einen namhaften Wert«, sagte Castiletz (das Wort
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