Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein mörderischer Sommer

Titel: Ein mörderischer Sommer
Autoren: Fielding Joy
Vom Netzwerk:
und strichen die kleinen Falten an ihren Augen glatt. Wann waren sie zum erstenmal erschienen? Wie merkbar wir älter werden und doch so unmerklich. In ihren Augen lag zwar keine große Weisheit, aber sie spiegelten den Lauf der Jahre wider. Sie waren wissender geworden, weniger vertrauend. Die Tränensäcke, die früher nach einer durchschlafenen Nacht stets verschwunden waren, bildeten jetzt einen festen Bestandteil ihrer Gesichtszüge. Wie lange war es her, daß jemand ihr in die Augen gesehen und ihr gesagt hatte, wie schön sie war? Lange, dachte sie.
    Widerwillig fiel ihr Blick auf ihre Brüste, Brüste, die in ihrer Jugend hoch und fest gewesen, jetzt jedoch weit weniger prall waren. Kurz vor den Brustwarzen sanken sie ein wenig ein, was ihnen das exotische Aussehen von Aladins spitz zulaufenden Schuhen gab. Ihr Bauch, einst wie ausgehöhlt, wies jetzt eine nicht zu übersehende Rundung auf, und ihre Taille weitete sich unerbittlich in den Bereich ihrer immer noch schmalen Hüften aus. Nur ihren Beinen, immer schon ihr größter Stolz, war kein Zeichen des Alters anzusehen, keine violetten Äderchen, die hinter den Knien zum Vorschein kamen – über solche Äderchen hatte Eve zu klagen begonnen. Auch mit einundvierzig brauchte sie sich über Fettwülste oder Cellulitis noch keine Sorgen zu machen, und wenn ihr Hintern jetzt ein paar Zentimeter tiefer saß, nun, Paul jedenfalls hatte sich darüber noch nie beschwert. Vielleicht ist er kein Arsch-Typ, dachte sie, nachdem sie sich an Eves Bemerkung erinnert hatte. Sie hoffte, daß er ein Bein-Typ war; irgendeine Vorliebe hatte er nie gezeigt. Sie griff in das Schränkchen unter dem Waschbecken nach dem Fön.
    Er war nicht an seinem gewöhnlichen Platz. »Ist ja seltsam. Wo hat Paul ihn bloß hingetan?« fragte sie laut und öffnete ein anderes Schränkchen. Auch dort war der Fön nicht. Dafür etwas anderes, irgendeine Zeitschrift, ganz hinten auf das Brett geschoben. Joanne griff danach und zog sie heraus. »O mein Gott«, flüsterte sie. Eine lächelnde, vollbusige junge Frau starrte sie an, als ob sie eine liebe alte Freundin wäre. Wenn auch in dem Gesichtsausdruck des Mädchens eine gewisse Unschuld lag, so war an ihrer Pose ganz und gar nichts Unschuldiges. Ihr nackter, äußerst üppiger Körper lehnte gegen eine große und ebenso gut ausgestattete Stereoanlage; ein Mikrophon steckte nicht gerade diskret zwischen ihren Beinen. »Und was werden wir heute singen?« fragte Joanne. Sie hörte Eves Stimme bei diesen Worten. Sie begann das Heft durchzublättern; ihre Augen weiteten sich bei jedem neuen Foto. »Mein Gott«, keuchte sie, versuchte wegzusehen, aber ihr Blick blieb auf den schlecht gedruckten Farbbildern haften. »Wann hat Paul angefangen, sich mit so was wie euch einzulassen?« fragte sie und erinnerte sich sofort, daß er in letzter Zeit geistesabwesend zu sein schien, daß sein sonst so schnelles Lächeln jetzt nur langsam kam, daß er oft verstört wirkte, ja deprimiert. Sie hatte angenommen, es habe etwas mit seiner Arbeit zu tun – Paul hatte seine Büroangelegenheiten nie ins Privatleben hineingetragen –, und so war sie dazu übergegangen, das, was sie als eine kurze Krise ansah, nicht weiter zu beachten. Sie war zu dem Schluß gelangt, daß jedes Ehepaar, ganz besonders Leute, die so lange verheiratet waren wie Paul und sie, Phasen durchleben mußten, in denen die Leidenschaft etwas niedriger loderte. Sobald er weniger Arbeit hat, war ihre Überlegung gewesen, wird er wieder er selbst sein, so gesellig wie früher, und sein Interesse an mir wird wieder aufflammen. Jetzt mußte sie sich fragen, ob es möglich war, daß er sie nicht mehr attraktiv fand! War Sex bei ihnen zu einer solchen Routine verkommen, daß er ihre aktive Teilnahme nicht mehr benötigte? Hatte ihr Körper den Reiz verloren, den er auf Paul einst so mühelos ausgeübt hatte? »Ist das der Grund, weshalb du hier bist?« befragte sie das lächelnde Mädchen auf dem Foto. »Was sieht er denn, wenn er dich betrachtet? Was sieht er denn«, variierte sie ihre Frage, während sie sich im Spiegel besah, »wenn er mich betrachtet?«
    Langsam, sehr befangen, brachte Joanne ihren Körper in eine ähnliche Position wie diejenige der Frau auf dem Foto: die Arme zurückgelegt, die Brüste vorgestreckt, die Knie angewinkelt und die Beine weit gespreizt. »Wie kriegen die es bloß hin, daß sie so rosa werden?« fragte sie laut und stand abrupt auf. Obwohl sie alleine war, schämte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher