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Ein mörderischer Sommer

Titel: Ein mörderischer Sommer
Autoren: Fielding Joy
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großen Spiegel. Sie wendet sich nicht ab, sondern geht auf ihr Spiegelbild zu und läßt ihre Augen langsam Inventur machen.
    »Ich bin über Vierzig«, sagt sie laut. »Ich habe die Mitte des Lebens erreicht.« Sie wirft einen tiefen Blick in ihre eigenen Augen. »Ich bin erwachsen.« Ihr Blick fällt auf die Brüste, wandert weiter hinunter, vorbei an ihrem rundlichen Bauch zu den Schamhaaren. »Ich bin eine Frau.«
    Plötzlich setzt sie sich auf die kleine rechteckige Matte vor dem Spiegel und nimmt die Pose ein, die sie vor Monaten in Pauls Pornomagazin gesehen hat: die Schultern zurückgezogen, die Beine angewinkelt und weit gespreizt. Schweigend prüft sie ihr Spiegelbild. »Du siehst immer noch lächerlich aus«, sagt sie lachend und betrachtet ihr Bild im Spiegel. »Vielleicht sollte ich mal für so ein Heft posieren«, schlägt sie ihm vor und muß noch mehr lachen. Zeig der Welt mal ein paar richtige Titten und Arschbacken, nicht diese aufgeblasenen Imitationen, die sie für die Wirklichkeit ausgeben, perfekte Formen, die sich nie bewegen und nie altern. Erinnere die Leute mal daran, wie Frauen aussahen, bevor die plastische Chirurgie ihnen weiszumachen begann, sie könnten ewig jung bleiben!
    Abrupt steht Joanne auf, bückt sich, berührt mit den Fingern die Zehen und betrachtet durch die gespreizten Schenkel hindurch ihren Körper. »Hey, hallo, Joanne Hunter, dich würde ich überall erkennen.« Sie streckt die Zunge heraus. »Du mich auch, Kleine«, sagt sie, richtet sich wieder auf und macht eine volle Drehung. Sie ist erstaunlich zufrieden mit dem, was sie da sieht. »Gar nicht schlecht für eine Frau über Vierzig«, gratuliert sie ihrem Spiegelbild.
    Sie geht zur Badewanne und dreht den Hahn zu. Das Wasser ist sehr heiß, vielleicht ein bißchen zu heiß, denkt sie, als sie in die Wanne steigt. Sie preßt ihre Schultern gegen das weiße Porzellan, fühlt das Wasser unter ihrem Kinn plätschern. In Sekundenschnelle bilden sich kleine Schweißtropfen auf ihrer Stirn und ihrer Oberlippe. Sie schließt die Augen, streckt Arme und Beine aus. Ich könnte auf der Stelle einschlafen, denkt sie. Einfach wegtreiben und einschlafen.
    Sie hört ein Geräusch. Sofort versteift sich ihr Körper. Sie strafft die Schultern, setzt sich gerade hin, zieht die Knie an die Brust, wartet, ob das Geräusch wiederkommt. Nichts. Nach einigen Minuten läßt sie sich wieder zurücksinken. Sie braucht sich keine Sorgen zu machen. Die Alarmanlage ist eingeschaltet; der Vorstadtwürger ist überführt; und außerdem hält die Polizei ein wachsames Auge auf ihr Haus. Der Alptraum ist vorüber. Beinahe, hört sie ein Stimmchen flüstern. Laß die Augen offen! Schlaf nicht ein!
    Trotz der stummen Warnung schließt sie die Augen, aber es ist schon zu spät. Sie liegt nicht mehr allein in der Wanne. Eve ist bei ihr und die beiden Polizeibeamten, deren Anwesenheit ihr eine Ewigkeit her zu sein scheint, und Alan Crosby, dessen Gesichtszüge hinter einem widerlichen Grinsen verschwimmen. Sie alle lassen es nicht zu, daß sie sich entspannt, erlauben ihr nicht, sich auszustrecken. Joanne öffnet wieder die Augen und nimmt die Seife aus der kleinen Schale an der Wand. Sie seift sich ein, spült den Schaum ab, steht auf und steigt aus der Wanne, die ihr jetzt wie ein öffentliches Schwimmbad erscheint. Überfüllt. Sie will allein sein.
    Wieder in ihrem Zimmer, zieht Joanne ein kurzärmeliges T-Shirt an. Sie will gerade ins Bett gehen, da fühlt sie sich plötzlich gezwungen, sich umzudrehen, eine andere Richtung einzuschlagen. Beinahe gegen ihren eigenen Willen schleicht sie auf Zehenspitzen durch die obere Diele, wirft erst einen Blick in Robins Zimmer, dann in das von Lulu, ist befriedigt, beide Räume leer vorzufinden. Sie freut sich schon auf die Rückkehr ihrer Töchter, auf das nächste Jahr. Mein erstes Jahr als richtige Erwachsene, denkt sie.
    Als sie an der Treppe vorbeikommt, beschließt sie, die Alarmanlage noch einmal zu überprüfen. Sie erinnert sich, sie eingeschaltet zu haben, nachdem die Polizisten gegangen waren, aber in letzter Zeit hat ihr Gedächtnis sie öfter im Stich gelassen, und sie will ganz sicher sein.
    Sekunden später ist sie in der unteren Diele. Hell leuchtet das grüne Licht auf dem kleinen Kästchen an der Wand; die Anlage ist eingeschaltet. Sie ist in Sicherheit.
    Sie geht ins Eßzimmer und starrt durchs Fenster hinaus auf die Straße. In diesem Augenblick fährt ein Streifenwagen langsam an ihrem Haus
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