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Ein Mensch wie Du

Ein Mensch wie Du

Titel: Ein Mensch wie Du
Autoren: Heinz G. Konsalik
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… Versuchen Sie nicht, mich zu belügen … Sagen Sie die Wahrheit … Ich kann es ertragen: Greta ist tot …«
    »Nein.« Der Arzt nahm eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche und hielt sie Krone hin. »Rauchen Sie erst einmal eine. Und einen Kognak lasse ich Ihnen auch bringen. Der Herr Professor operiert noch …«
    »Nach vier Stunden?«
    »Wissen Sie, was eine Nervenoperation bedeutet? Und gerade innerhalb des Rückenmarks? Wir haben es freigelegt, den ganzen Hauptnervenstrang!«
    »Mein Gott, mein Gott.« Franz Krone ließ die Zigarette fallen und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. »Sie wird nicht sterben?«
    »Aber nein.« Der Arzt trat die brennende Zigarette aus. »Sie wird im Gegenteil wieder laufen können … Der Herr Professor hat berechtigte Hoffnungen …«
    Als der Arzt das Zimmer verließ, saß Franz Krone am Fenster und weinte.
    Und wieder tropften die Minuten dahin, zäh wie Sirup, jedes Ticken der Uhr wie einen Stich in das Gehirn des Wartenden jagend.
    Die fünfte Stunde der Operation, die Stunde an der Grenze des Irrsinns.
    Dann öffnete sich die Tür. Professor von Kondritz trat in den Raum, müde, abgespannt, mit tiefen Falten zwischen den Nasenflügeln. Er sah aus wie ein alter Mann, der lange nicht geschlafen hat.
    »In zehn Minuten können Sie Ihre Frau sehen«, sagte er leise. In seiner rauhen Stimme schwang die Anstrengung der vergangenen fünf Stunden mit. »Sie ist noch in Narkose, aber –«
    »Aber?« Franz Krone umklammerte den Tisch, vor dem er saß.
    »Aber sie ist gerettet! Nach menschlichem Ermessen müßte sie wieder gehen können.«
    An dem erschöpften Chirurgen vorbei rannte Franz Krone aus dem Zimmer. Er stand vor der Tür zu Gretas Raum, als die Bahre, mit Tüchern zugedeckt, vom Fahrstuhl herüber zu dem Zimmer gerollt wurde – den Weg zurück ins Leben.
    Am Abend dieses Tages sang Francesco Corani in der Berliner Oper. Caricacci hatte dieses Gastspiel gleich von Rom aus abgeschlossen, als er erfuhr, daß Corani seine Frau zur Operation nach Berlin bringen wollte. »Ich singe in dieser Zeit nicht!« hatte Corani geschrien, aber Caricacci hatte in alter Manier die Hände gehoben und ruhig gesagt: »Francesco – die Flugkosten, die Operation, der Krankenhausaufenthalt werden dich Tausende von Mark kosten! Woher willst du das Geld nehmen? Von drei Opernabenden in Rom?! Das Konzert in Berlin bringt dir gute viertausend Mark ein für deine Frau, Francesco!«
    Und Corani sang den Rudolf in ›La Bohème‹.
    Es war eine erschütternde Stille in dem großen Opernraum, als Corani mitten im Spiel – vor dem Einsatz seiner großen Arie – an die Rampe trat und leise sagte: »Diese Arie singe ich für meine Frau – sie soll so fest wie ich glauben, daß sie wieder gesund wird.«
    Die Geigen sangen … Corani stand vorne am Souffleurkasten, nahe dem Mikrophon, das neben dem Dirigenten über die Orchesterrampe ragte.
    ›Wie eiskalt ist dies Händchen …‹ Die Liebesarie des Rudolf, der einschmeichelndste, süßeste Gesang aller Opern.
    In der Stimme Coranis schwangen die Tränen mit, die er unterdrückte, es war, als sei seine Stimme in diese Melodie hineingeschmolzen, eine unerklärbare Süße, eine Weichheit, die träumen ließ, ein Schweben, schwerelos wie im unendlichen Raum.
    Caricacci stand hinter der Bühne und hatte die Hände gefaltet. Atemlos stand neben ihm der Generalintendant und lauschte. »Ein Wunder«, flüsterte Caricacci. »Niemand wird diese Arie wieder so singen können. Es ist wie eine Beschwörung Gottes …«
    Die Opernaufführung wurde auch in das stille Zimmer der Klinik übertragen. Professor von Kondritz und der Oberarzt saßen am Bett Gretas, als die Übertragung begann. Sie waren bereit, den Radioapparat sofort abzustellen, wenn die Stimme Coranis Greta zu sehr erregte. Sie lag wieder in einer Gipswanne, aber nicht, wie vorher, auf dem Rücken, sondern auf der Seite.
    Still, ohne Bewegung, aber mit glücklichen Augen hörte sie die Oper an. Als Franz die wenigen Sätze vor dem Beginn der Arie sprach, schloß sie die Augen. Und während er sang, rannen ihr unter den geschlossenen Lidern die Tränen über die blassen, eingefallenen Wangen. So lag sie die ganze Aufführung über bis zu Mimis Tod. Da schlug sie die Augen wieder auf und blickte hinüber zu Professor von Kondritz.
    »Sie stirbt so glücklich, die kleine Mimi«, sagte sie schwach. »So tapfer und demütig. Muß ich auch sterben …«
    Kondritz fuhr auf. »Aber nein,
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