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Ein Mensch wie Du

Ein Mensch wie Du

Titel: Ein Mensch wie Du
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wurde es ein Volkslied, eine kleine Arie, aber auch von ihr nur ein paar Takte, um seine Kehle nicht zu überlasten. Nach siebzehn Wochen sang er in den Felsen bei Artemisia die große Arie des Faust ›Sei mir gegrüßt, du heil'ge Stätte‹ aus ›Margarete‹ von Gounod. Er sang sie wie vor zwei Jahren in Rom und New York, nur das hohe C war noch etwas dünn und hatte nicht den metallenen Klang, der ihn von den anderen Sängern unterschied. Aber es war ein C – es machte ihm keine sonderliche Mühe, es zu singen, er tastete sich nicht an den Ton heran, sondern ergriff ihn gleich bei dem ersten Ansatz in voller Klarheit und Reinheit.
    An diesem Abend kehrte er nicht in das Krankenzimmer Gretas zurück, um sich an ihr Bett zu setzen, wo sie geduldig darauf wartete, nach Berlin geflogen zu werden. Er ging um das Hospital herum und suchte das Fenster von Gretas Zimmer. Als er es gefunden hatte, zögerte er einen Augenblick, ehe er die geliehene Laute nahm und die Saiten zupfte.
    Der Abend war warm und doch mild. Blütenduft lag in der Luft … Kletterrosen rankten sich an der Hauswand empor und überzogen die Steine mit roten, duftenden Blüten.
    Er sah, daß das Fenster von Gretas Zimmer geöffnet war. Lichtschimmer geisterte aus ihm durch die Dunkelheit, schwach nur, wie von einer Tischlampe. »Sie liest«, dachte er. »Sie liest immer, manchmal bis tief in die Nacht hinein, weil sie in dem Gipsbett nicht schlafen kann. Wie grausam ist doch unser Schicksal, wie unerbittlich.« – »Wenn ich lese, vergesse ich die Schmerzen«, sagte sie einmal, als er ihr von drei Tageseinnahmen seines Blumenstandes neue Bücher gekauft hatte und sie ihr aufs Bett legte. »Ich zwinge mich, zu vergessen. Früher, wenn du sangst, war es ebenso – dann gab es nichts für mich auf der Welt als dich und deine Stimme …« Und sie lächelte verzeihend, daß sie von seiner Stimme sprach, zu ihm, dem ewig Stummen.
    Er hob die Laute und zupfte die Melodie. Er dehnte die Einleitung aus, er spielte sie zweimal. »Jetzt wird sie das Buch hinlegen und verwundert lauschen«, dachte er. »Sie wird den Kopf zum Fenster drehen und vielleicht sogar lächeln. Ach Greta … Greta …« Er schloß die Augen und sang.
    »Una furtiva lacrima … Heimlich aus ihren Augen sich eine Träne stahl …« Der ›Liebestrank‹ von Donizetti. Die zarte, schmeichelnde, wie ein Streicheln klingende Arie des Nemurino, in der die Träne mitklang, die er verklärt besang.
    Er fühlte nicht mehr seine Finger, die über die Saiten der Laute glitten, er sah nicht mehr, wo er stand, er sah keine Sterne und keine Rosen, nicht die sich öffnenden Fenster und die ratlosen, erstaunten und dann lächelnden Gesichter der bärtigen Mönche, den weißen Kittel des Arztes, der aus einer Tür auf einen Balkon wehte; er sang mit der ganzen Inbrunst eines Gebetes, eines Dankes, einer jubelnden Wiedergeburt aus der Hand Gottes.
    Als er die Arie beendete und wie erschöpft die Laute sinken ließ, zerriß ein heller Schrei die Stille der Nacht. Er kam aus dem Fenster des Krankenzimmers – ein Schrei, der wie ein Schwert durch sein übervolles Herz schnitt.
    »Greta!« stammelte er. »Greta Mein Gott … Greta!«
    Er ließ die Laute fallen und rannte durch den Garten die Treppe hinauf ins Haus.
    Als er in das Zimmer stürzte, stand der Arzt am Bett und zog eine Spritze auf. Greta lag ohnmächtig in den Kissen, mit den Händen noch immer den Nachttisch umklammernd, als habe sie sich daran emporziehen wollen, um an das Fenster zu treten.
    Stumm sank er vor dem Bett in die Knie und vergrub das Gesicht neben ihrer Hand in das Kissen.
    Mit versteinertem Gesicht gab der Arzt die Injektion.
    Das Märchen schien sich zu vollenden – mit Riesenschritten kam Franz Krone die Zeit entgegen, so, als wolle das Schicksal die Jahre, die er verloren hatte, nachholen.
    Mit dem nächsten Flugzeug, das von Patras abging, flog er nach Athen, von Athen nach Rom. Dort sang er Giulio vor, der ihn skeptisch betrachtete und nur unlustig zur Probebühne mitging. Aber als Franz die ersten Takte gesungen hatte, sprang Giulio auf und schlug mit den Armen um sich wie ein Tobsüchtiger.
    »Umdisponieren!« schrie er dem Dramaturgen zu, der ebenfalls von seinem Stuhl aufgefahren war. »Plakate an alle Säulen und Wände – riesige Plakate: ›Francesco Corani singt wieder!‹ Am Sonnabend zum erstenmal! ›Turandot!‹ Mit der Spinelli als Turandot! Und morgen abend eine Pressekonferenz im Foyer der Oper! Haben
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