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Ein Mensch wie Du

Ein Mensch wie Du

Titel: Ein Mensch wie Du
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Morgen.
    Seinen Garten am weißen Haus von Ageranos pflegte ein junger Bauer. Mit einem alten, klapprigen Ford brachte er jeden Dienstag eine Ladung Obst und Blumen nach Sparta – dann setzte sich Franz Krone auf den Markt oder neben die Ruinen des berühmten Stadions und verkaufte an die Touristen die ersten Früchte seines Felsengartens. Die Amerikaner und Engländer, Franzosen und Schweizer, Deutschen und Schweden, die mit den Fremdenführern durch die antiken Trümmer einer weltweiten Kultur gingen, kauften gern die leuchtenden Früchte und die dicken Sträuße, die der lange, hagere, braungebrannte Händler ihnen entgegenhielt. Kaum einer der Fremden warf einen genaueren Blick auf den ›Griechen‹ – vielleicht fiel es einer Lady auf, daß er eine alte, blaue, ausgeblichene Baskenmütze trug und ein Hemd, das auf der Brust offenstand … Sie gab ihm dann einen Schilling mehr und nahm schnell den Blumenstrauß.
    »Einen Strauß? Bitte schön, oui, Madame – cette rose est la rose du maréchal Niel.« Das Geld – Hand auf, ein Nicken. »Merci, Madame. Au revoir …«
    Neun Wochen lang … Tag für Tag … Daß Bett Gretas mußte bezahlt werden, die Ärzte verlangten ihr Geld, die Medikamente verschlangen große Summen, die Verbände, die Bettwäsche …
    Und in den Felsen bei Artemisia schrie jeden Morgen ein Mann gegen das Gestein und lauschte auf die Töne, die aus seiner Kehle quollen und sich mißtönend überschlugen.
    Aber es waren Töne! Das gab ihm Mut, das gab ihm Kraft, durchzuhalten, in der Sonne mit seinen Blumen und Früchten zu sitzen, wie ein dreckiger Händler aus der Levante behandelt zu werden und vor den snobistischen Fremden zu katzbuckeln – den gleichen Menschen, die ihm einst zujubelten, ihm Blumen auf die Bühne warfen und – wie in Neapel – ihn singend auf der Schulter durch die Straßen trugen.
    In der elften Woche gelang es ihm, einen sauberen Ton festzuhalten. Einen einzigen Ton nur … Aber er brach nicht mehr, er stand fest, er behielt seinen Klang, und dieser Klang wehte durch die Einsamkeit der Taygetos-Felsen wie die Fanfare eines schwererrungenen Sieges.
    Erschrocken hielt Franz Krone inne, als er den Ton mit vollem Bewußtsein vernahm. Er schloß die Augen und lehnte sich zitternd gegen das Gestein. Sollte es wahr sein? Hatte ihn nicht ein Wunschbild genarrt? War es wirklich ein Ton, ein klarer, anhaltender, nicht sich überschlagender, auseinanderbrechender und flatternder Ton? Er hielt die Augen geschlossen, als er den Ton noch einmal sang. Er hatte die Hände ineinander verkrampft, ein Schütteln durchzog seinen schmächtigen, ausgezehrten Körper.
    Der Ton – da war er wieder – ja, er war da, der Klang … Er klang!
    Franz trat von dem Felsen zurück, er wölbte die Brust, er breitete die Arme weit aus, als wolle er die ganze Welt umarmen – und er sang, noch unrein zwar, aber es war eine Melodie, sie hatte einen Klang, sie war erkennbar, sie war sogar schön, herrlicher für ihn als die schönste Arie, die er je gesungen hatte.
    So stand er in der Einsamkeit glühender Felsen, die Arme ausgebreitet, mit geschlossenen Augen, unter deren Wimpern die Tränen über seine braunen, eingefallenen Wangen liefen. Die Melodie zerflatterte in einem Schluchzen, das seinen ganzen Körper ergriff, er schlug die Hände vor die Augen und weinte laut wie ein Kind.
    Die tausend Dollar Caricaccis teilte Franz auf. Fünfhundert Dollar überwies er an Professor von Kondritz als Vorauszahlung für Operation und stationäre Behandlung, mit den anderen fünfhundert Dollar bezahlte er seine Schulden in Sparta und Gythion. Dann saß er wieder auf dem Markt und in den Ruinen Spartas und verkaufte seine Blumen.
    Aber es war ein anderer Mensch, der jetzt seine Ware den Touristen anbot. Etwas Selbstbewußtes ging von ihm aus, eine federnde Energie, ein Leuchten in seinen Augen, aus dem die Hoffnung strahlte. Jetzt übte er jeden Morgen und jeden Abend in den Felsen, und es war, als habe das Dunkel, das bisher seine Stimme hemmte, sich zurückgezogen, als hätten die Nerven nie geruht und das Gehirn nie seinen Dienst verweigert. Seine Stimme blühte von Tag zu Tag mehr auf, schon füllte sie die Felsenschluchten, und ihr Wohllaut trieb ihm immer wieder Tränen in die Augen. Manchmal auch brach er mitten im Gesang ab und lauschte den in den Felsen sich brechenden Tönen nach, als könne er noch nicht glauben, daß es wirklich seine Stimme war, die er hörte. Zuerst sang er nur Töne, dann
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