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Ein Lotterie-Loos

Ein Lotterie-Loos

Titel: Ein Lotterie-Loos
Autoren: Jules Verne
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rührt sie erst vom Jahre 1624 her, zu welcher Zeit der König Christian sie wieder aufbaute. Aus Opsolo, wie ihr Name ursprünglich lautete, verwandelte sie sich damals erst in Christiania, zu Ehren ihres königlichen Neubegründers. Es ist eine regelmäßige Stadt mit breiten, nüchternen und geraden, wie nach dem Lineal angelegten Straßen mit weißen Stein-oder rothen Ziegelhäusern. Inmitten eines recht schönen Gartens erhebt sich das königliche Palais, das Oskarslot, ein gewaltiges viereckiges, aber, obwohl es in jonischem Stile gehalten ist, eigentlich stilloses Bauwerk. Da und dort zeigen sich einige Kirchen, in denen Schönheiten der Kunst gewiß keinen Andächtigen zu zerstreuen vermöchten. Endlich gibt es hier verschiedene Gerichtsgebäude und öffentliche Anstalten, ohne den in Form einer Rotunde errichteten, großen Bazar zu zählen, der einen Sammelplatz ausländischer und einheimischer Erzeugnisse bildet.
    Unter Allem, was wir eben anführten, findet sich etwas besonders Bemerkenswerthes jedoch nicht; dagegen verdient rückhaltlose Bewunderung die schöne Lage der Stadt inmitten eines Kreises vielgestaltiger Berge, welche deren prächtigen Rahmen abgeben. Fast eben in ihren reichen neueren Theilen, erhebt sie sich nur, um eine mit unregelmäßigen Häuschen bedeckte Art Kasbah zu bilden, in denen die ärmlichere Bevölkerung lebt. Die Holz-oder Ziegelhütten hier fallen dem Blicke freilich mehr auf, als sie ihn zu ergötzen vermögen.
    Man darf nicht etwa glauben, daß das Wort Kasbah, welches eigentlich nur von afrikanischen Städten gebraucht wird, für eine Stadt im Norden Europas nicht am Platze wäre. Christiania hat wirklich in der Nachbarschaft des Hafens Stadttheile, wie man sie ganz ähnlich in Tunis, Marokko oder Algier findet, und wenn hier keine Tunesier wohnen, so ist deren flottirende Bevölkerung doch kaum höher zu schätzen.
    Mit einem Wort, gleich jeder Stadt, deren Fuß sich im Meere badet und die das Haupt bis zur Höhe grüner Hügel erhebt, ist gerade Christiania ganz besonders malerisch gelegen, und nicht mit Unrecht vergleicht man dessen Fjord mit dem Meerbusen von Neapel. Wie der letztere geschmückt ist durch die Dörfer Sorrent und Castellamare, so sind dessen Ufer mit Villen und Einzelhäuschen bedeckt, die sich halb in dem schwarzen Tannengrün verlieren und in dem leichten Nebeldunst, der ihnen eine so eigenthümliche »Weichheit« verleiht, der man in nördlichen Gegenden so oft begegnet.
    Sylvius Hog war also endlich in Christiania zurück; freilich hatte sich diese Rückkehr unter keineswegs vorausgesehenen Umständen – inmitten einer unterbrochenen Erholungsreise – vollzogen. Nun, letztere wollte er im folgenden Jahre sicher nachholen, jetzt nahmen nur Hulda und Joël sein ganzes Interesse in Anspruch. In seinem Hause hatte er sie nicht absteigen lassen, weil das nur angegangen wäre, wenn er zwei Zimmer noch übrig gehabt hätte. Der alte Fink und die alte Kate hätten jene gewiß ganz gut aufgenommen, doch hatte es an Zeit gefehlt, nur die nöthigsten Vorbereitungen zu treffen. Deshalb führte sie der Professor nach dem Hôtel Victoria, wo er die jungen Leute besonders empfahl.
    Eine Empfehlung von Sylvius Hog, dem Storthing-Abgeordneten, durfte aber sicherlich auf Beachtung rechnen.
    Während der Professor hier für seine Schützlinge dieselbe Aufmerksamkeit beanspruchte, die man ihm selbst jedenfalls erwiesen hätte, gab er doch deren Namen nicht an, da es ihm um Joëls und noch mehr um Hulda Hansen’s willen vor Allem wichtig erschien, deren Incognito zu bewahren. Der Leser weiß ja, wie viel schon von dem jungen Mädchen gesprochen und verbreitet worden war, und das hätte sie hier ungemein belästigen müssen, wenn die Leute ihre Ankunft in Christiania erfuhren.
     

    Plötzlich wurde sein Gesicht todtenbleich. (S. 164.)
     
    Nach der Verabredung sollte der Professor die Geschwister am nächsten Tage nicht vor der Frühstückstunde, d. h. zwischen elf und zwölf Uhr, sehen.
    Er hatte einige nothwendige Geschäfte zu besorgen, die den ganzen Vormittag in Anspruch nahmen, und erst nach Abwickelung derselben wollte er Hulda und Joël aufsuchen, um sie nachher nicht wieder verlassen zu müssen, denn er hoffte dann bei ihnen bleiben zu können, bis die Ziehung der Lotterie um drei Uhr ihren Anfang nahm.
    Sobald Joël aufgestanden war, begab er sich zu seiner Schwester. Diese erwartete ihn schon völlig angekleidet in ihrem Zimmer.
    In der Hoffnung, sie ein
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