Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Lotterie-Loos

Ein Lotterie-Loos

Titel: Ein Lotterie-Loos
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
wenig von ihren gerade heute gewiß schmerzlichen Gedanken abzulenken, schlug Joël ihr vor, bis zur Frühstückszeit etwas spazieren zu gehen. Um ihrem Bruder den Willen zu thun, nahm sie dessen Vorschlag an, und Beide begaben sich auf gut Glück hin gerade in die Stadt hinein.
    Es war ein Sonntag. Ganz entgegen der gewöhnlichen Erscheinung in nördlichen Städten, wo an Sonn-und Festtagen die Anzahl der Spaziergänger meist eine beschränkte ist, zeigten sich die Straßen heute merkwürdig belebt. Nicht allein hatten die Einwohner selbst die Stadt heute nicht verlassen, sie sahen im Gegentheil auch einen Theil der Landbevölkerung in den Straßen zusammenströmen. Auf der Eisenbahn des Mjöse-Sees, welche die Umgebungen der Hauptstadt durchschneidet hatte man sogar Extrazüge einlegen müssen; so viel Neugierige und zum größten Theil Interessenten hatte die volksthümliche Lotterie der Schulen von Christiania herbeigezogen.
     

    Nummer 9627. (S. 171.)
     
    So bewegten sich also viele Leute durch die Straßen hin, oft ganze Familien, wenn nicht gar ganze Dorfschaften, die alle in der geheimen Hoffnung gekommen waren, keine unnütze Fahrt unternommen zu haben. Doch, man bedenke nur, die Million Loose war untergebracht worden, und wenn sie auch nur einen Gewinn von ein-oder zweihundert Mark machten, wie viele brave Leute wären, höchst zufrieden mit ihrem Loose, freudig nach ihren kleinen Saeters oder ihren bescheidenen Gaards heimgekehrt!
    Vom Hôtel Victoria aus begaben sich Joël und Hulda zunächst hinunter bis nach den Quais, die sich an der Ostseite der Bucht hinziehen. Hier war der Menschenandrang nicht so groß, höchstens in den Wirthshäusern, wo das Bier und der Brantwein in vollen Schoppen und bis zum Rande vollen Spitzgläsern an fortwährendem Durste leidende Kehlen erquickte.
    Während Bruder und Schwester so zwischen den Magazinen, den Reihen großer Fässer, den hohen Haufen von Kisten und Ballen von jeder Herkunft hinwandelten, zogen doch die am Lande vertäuten oder draußen im Wasser verankerten Schiffe ihre Aufmerksamkeit ganz besonders auf sich, da sich unter denselben ja leicht eines finden konnte, das zum Hafen von Bergen gehörte, nach dem der »Viken« nicht mehr zurückkehren sollte.
    »Ole!… mein armer Ole!« murmelte Hulda.
    Joël bemühte sich daher, sie wieder von der Bucht fort und nach den hochgelegenen Theilen der Stadt zu führen.
    Hier hörten sie nun in den Straßen, auf den Plätzen und aus einzelnen Gruppen heraus wiederholt Aeußerungen, die sie selbst nahe berührten.
    »Ja, sagte der Eine, man hat für die Nummer 9672 wohl bis zehntausend Mark geboten.
    – Zehntausend? antwortete ein Anderer. Ich habe von zwanzigtausend und noch mehr reden hören.
    – Herr Vanderbilt aus New-York soll bis auf dreißigtausend gegangen sein.
    – Und die Herren Baring aus London bis auf vierzigtausend!
    – Und die Herren Gebrüder Rothschild bis auf sechzigtausend.«
    Man weiß ja, was von solchen volksthümlichen Uebertreibungen zu halten ist. Wenn die Steigerung in dieser Weise weiterging, wäre bald ein höherer Preis für das Loos erreicht worden, als der Ertrag des ersten größten Gewinnes ausmachte.
    Doch wenn diese Neuigkeitsjäger bezüglich der Zahl der Hulda Hansen gemachten Anerbietungen und bezüglich deren Höhe nicht übereinstimmten, so war die Menge doch ganz einig in der Verurtheilung der elenden Handlungsweise des Wucherers in Drammen.
    »Welch’ gottloser Schurke, dieser Sandgoïst, der kein Mitleid hat mit den wackeren Leuten!
    – O, der ist schon in ganz Telemarken bekannt genug; das ist nicht der erste Streich des Kerls!
    – Man sagt, er habe Ole Kamp’s Loos, nachdem er es ziemlich theuer bezahlt, nicht weiter verkaufen können.
    – Nein, kein Mensch wollte es annehmen.
    – Das ist nicht zu verwundern! In den Händen der Hulda Hansen hatte das Loos einen Werth, in denjenigen Sandgoïst’s aber gar keinen.
    – Das ist recht! Mag er es auf dem Halse behalten und die fünfzehntausend Mark, die es ihm gekostet hat, verlieren.
    – Doch, wenn der Spitzbube nun wirklich das große Loos darauf gewänne?
    – Er!… Das wäre!
    – Das wäre eine Ungerechtigkeit des Schicksals! Wenn er sich nur nicht etwa bei der Ziehung sehen läßt!…
    – O, da sollt es ihm schlecht ergehen!«
    So etwa lauteten die Ansichten bezüglich Sandgoïst’s. Wir wissen, daß er – ob aus Klugheit oder aus irgend welchem anderen Grunde – nicht die Absicht zu haben schien, der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher