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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt
Autoren: Ewald Arenz
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König der Ehren … «
    Sie sang schluchzend, aber dann klar, flog in die Gasse hi­nunter mit all der Geschicklichkeit, die sie gelernt hatte, war nur noch vier Meter über der Straße, flog an den Bürgerhäusern vorbei und sang ihnen in die geöffneten Fenster ihren Motorenlärm und ihr Lied: » … meine geliebete Seele … «
    Sie musste die Maschine schräg stellen, um zwischen Rathaus und Apotheke hindurchzuschießen, sie nahm die Wimpel mit und eine Fahne, die an der Tragfläche eine Sekunde flatterte, bevor sie davonstieb. Jetzt sah sie das Auto, das ihr von der gegenüberliegenden Seite entgegenkam, sah, wie der Fahrer ungläubig zögerte und der Mesner von seinem Sitz aufstand. Sie dröhnte über den Marktplatz, aus den Augenwinkeln meinte sie Feinmann vor seinem Laden zu erkennen, flog drei, zwei, nur noch einen Meter über dem Boden. Der Wagen bremste, aber es war zu spät, und sie schob sanft den Steuerknüppel nach vorn, die Maschine neigte sich genau auf ihn zu, und sie gab noch einmal Gas. Die Münder der Polizisten zu lautlosen Schreien geöffnet, das Gesicht des Mesners in namenlosem Hass. Luise schloss die Augen, ließ alles los und sang: » … der dich auf Adelers Fittichen sicher geführet … «

20

    Sie fielen niemandem auf, als sie sich der Bugreling auf dem Oberdeck des Atlantikliners näherten, denn obwohl sie jetzt bereits seit zwölf Tagen auf See waren und sogar schon in südatlantischen Gewässern, war es trotz des tropischen Sommers an diesem Tag windig und die See rau. Außer ihnen war kaum jemand an Deck. Die Maschinen liefen jedoch ruhig, und der Liner stampfte gleichmäßig. Paul hatte sich von einem der Stewards eine Leine ausgebeten und einen Eimer daran gebunden, den er jetzt in die See hinunterließ. Der Eimer schlug auf, tanzte erst eine Weile auf den Wellen, füllte sich dann aber zur Hälfte, sodass Paul ihn nach oben ziehen konnte. Luana stand neben Gottfried, der jetzt wieder seinen Bart trug, immer noch schwarz, aber längst nicht so lang wie vor einem Jahr. Sein Talar flatterte in der steifen Brise, und sein Haar wehte im Wind. Luana hatte das Kind in ihren Mantel eingeschlagen, um es zu schützen, solange Paul mit dem Eimer beschäftigt war. Als er ihn oben hatte, holte er eine kleine gläserne Schale aus der Tasche, schöpfte damit ein wenig Wasser daraus und gab sie seinem Vater. Dann stellte er sich neben Luana.
    »Sie wollte immer den Atlantik sehen«, sagte sie leise und blickte übers Meer.
    Paul nickte nur. Sein Vater schaute sie beide an und gab ihnen ein Zeichen. Auch er sagte nichts.
    Luana schlug den Mantel auf, zog die Decke um ihre Tochter fester und legte sie Paul auf den Arm. Sie traten ein Stück vor. Gottfried blickte lange über sie hinweg aufs Wasser, dann setzte er an, aber konnte nicht gleich sprechen. Er legte seine Hand auf den Kopf des Kindes, das in der Wärme des Mantels eingeschlafen war. Sanft löste er die Bänder der Haube und schob sie nach hinten.
    »Luise Luana«, sagte er und hob die Schale über den Kopf des Kindes, »ich taufe dich im Namen des Vaters …« Wieder stockte er. Die Tränen liefen ihm über die Wangen, doch dann straffte er sich und wiederholte noch einmal: »Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.«
    »Amen«, sagte Paul, und Luana bekreuzigte sich.
    »Georg sollte hier sein«, sagte sie dann wehmütig. »Ein Pate sollte dabei sein, wenn das Kind getauft wird.«
    Paul nickte nur, aber Gottfried sah kurz zwischen den beiden hin und her.
    »Es ist so schwer, das Richtige zu tun«, sagte er leise, »und er hat sich dafür entschieden.«
    Er stellte die Schale auf den Holzboden des Schiffes und band dem Kind die Haube wieder zu.
    Als sie zusammen auf die Türen zugingen und Luana sich bei Paul einhakte, um bei dem Seegang nicht zu stolpern, hörten sie den Schrei einer Möwe. Sie sahen nach oben.
    »Die erste Möwe«, sagte Paul, »wir sind bald da.«
    Und dann, ohne zu sprechen, blieben sie alle drei stehen, das Kind in ihrer Mitte, und sahen der Möwe zu, wie sie mit dem Wind segelte, der immer mehr zum Sturm wurde, wie sie leicht und mühelos segelte, wie sie die Flügelspitzen stellte und dann immer höher stieg, ohne einen einzigen Flügelschlag, immer höher, bis sie schließlich abdrehte und mit dem Sturm davonwirbelte.
    »Kommt«, sagte Luana schließlich, und sie gingen hinein.
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