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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt
Autoren: Ewald Arenz
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Gemeindehektograf! Da ist das Pfarramtssiegel.«
    Beide Polizisten drehten sich zu ihm um und betrachteten das Siegel. Dann nahm der Kleinere den Drucker und trug ihn nach draußen. Luise schluckte trocken vor Angst und Entsetzen. Sie musste nachdenken und konnte nicht. Der Hektograf! Sie wussten, dass er aus dem Pfarramt stammte. Sie würden denken … sie würden sicher denken, Papa hätte Georg den Hektografen gegeben. Aber wie kam der Mesner hierher? Wieso hatte er … ihr fiel der Radfahrer ein, den sie einmal im Wald gesehen hatte. Der abgebogen war, als sie sich nach ihm umgedreht hatte.
    »Wahrscheinlich haben sie die Flugblätter vom Flugzeug aus abgeworfen«, meinte der kleinere Polizist, der wieder in die Scheune gekommen war. Der andere nickte und wandte sich an den Mesner, den Luise nun nicht mehr sehen konnte.
    »Haben Sie dem Pfarrer schon von dem Hektografen erzählt? Dass Sie ihn vermissen?«
    Anscheinend hatte Schwarz den Kopf geschüttelt, denn der Polizist nickte zufrieden.
    »Gut. Da haben wir doch …« Er bückte sich, und Luise konnte nicht alles verstehen, aber als er wieder hochkam, murmelte er etwas von »zwei Fliegen mit einer Klappe«. Der Mesner stellte eine Frage, die sie ebenfalls nicht verstand, aber der andere Polizist machte eine knappe Handbewegung, als er antwortete.
    »Nein«, sagte er, »das ist Hochverrat. Das geht nicht mit Schutzhaft ab. Gut, dass Sie die Augen offen gehalten haben.«
    »… meine Pflicht«, hörte Luise noch die Stimme des Mesners, aber die drei hatten sich zum Gehen gewandt. Es wirkte alles so alltäglich, so ungeheuer normal. Die Scheunentore wurden zugedrückt, und dann hörte Luise, wie der Motor des Autos ansprang. Sie rannte um die Scheune herum und warf sich vor der Ecke auf den Boden, aber es wäre nicht nötig gewesen. Der Wagen holperte bereits über die Wiese in Richtung Feldweg. Die Polizisten saßen vorn, Schwarz hinten. Zuerst wollte Luise zu ihrem Fahrrad rennen, aber sie ließ es. Es hatte keinen Sinn. Egal, wohin sie fuhren, sie würden schneller sein. Es gab nur eine Möglichkeit. Der Wagen verschwand aus ihrem Blickfeld, und Luise zählte mit zusammengebissenen Zähnen bis zehn, bevor sie aufstand und die Scheunentore aufriss. Hatte Georg getankt? Ja. Ja, doch. Egal. Sie hatte keine Zeit mehr dafür. Sie konnte das Flugzeug nicht alleine schieben, sie musste es mit Motorkraft bewegen. Hastig stieß sie die Keile vor den Rädern weg, schwang sich über den hochgeklappten Flügel, öffnete mit zitternden Händen den Benzinhahn, sprang hinunter und rannte zum Propeller. Bitte! Bitte! Bitte!, flehte sie innerlich, als sie sich daran hängte. Einmal. Zweimal. Dann kam der Motor. Sie sprang an der Bordwand hoch, glitt ab, sprang wieder und zog sich hoch. Gas! Schnell! Sie rechnete, während das Flugzeug aus der Scheune rollte und sie sofort wieder bremste. Ein Auto brauchte eine Viertelstunde, vielleicht zwanzig Minuten zum Pfarramt. Zur Tankstelle fünf Minuten mehr, da mussten sie durch die Stadt. Schluchzend sprang sie wieder aus dem Flugzeug, ließ den Flügel herab, rammte die Verriegelung auf die Schrauben und lief zurück in die Scheune. Den Siebzehner. Sie brauchte den Siebzehner! An der Werkbank hingen die Schraubenschlüssel, und Luise rannte wieder zum Flugzeug. Der Schraubenschlüssel klirrte an den Schrauben, so zitterte sie. Sie biss die Zähne zusammen und zwang sich zur Ruhe, dann zog sie die Schrauben fest. Jetzt auf die andere Seite. Der Flügel fiel, sie stauchte sich die Hand beim Abfangen. Verriegelung. Schrauben. Sie warf den Schlüssel ins Gras. Wie lange hatte sie gebraucht? Fünf Minuten? Acht? O Gott!
    Der Propeller lief ruhig, und sie kletterte in ihren Sitz. Die Fliegerbrille! Wo war die? Sie gab schon Gas, während sie noch unter dem Sitz danach suchte. Hoffentlich! Ohne Brille konnte sie bei hundertzwanzig Kilometern nichts sehen. Endlich hatte sie sie, ließ für zwei Sekunden den Steuerknüppel los und zog sie über, gab Gas, wurde schneller, zwang sich, die Startgeschwindigkeit abzuwarten und zog dann hoch.
    »Schneller!«, schrie sie verzweifelt, »schneller!« Die Maschine kam ihr entsetzlich schwerfällig vor, und sie fluchte und schluchzte in einem. Sie war jetzt auf hundert Metern, flog eine enge Kurve und suchte nach dem Auto. Es gab zwei Straßen, die über das Bärenloch und die andere durch das Tal. Sie flog den Feldweg ab, bis sie über dem Dorf war, wo die Straße sich gabelte. Sie waren schon weiter!
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