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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt
Autoren: Ewald Arenz
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er ließ es geschehen, und so standen sie beide lange, während draußen die Sonne aufging.
    Später, als sie sich voneinander lösten, sagte Luise leise und sanft: »Paul und Luana wollen nach Brasilien, Papa.«
    Er nickte. Er war ein wenig ruhiger geworden. »Ich weiß.«
    Luise zögerte, dann fragte sie sacht: »Willst du nicht mit ihnen gehen?«
    Er schwieg lange.
    »Ich habe schon darüber nachgedacht«, sagte er leise. »Früher wollte ich immer in die Mission. Aber jetzt … es wäre wie eine Flucht. Und du?« Er sah sie eindringlich an.
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich … Georg ist hier.«
    Ihr Vater betrachtete sie lange. Das erste Mal, seit er zurück war, so kam es ihr vor, sah er sie richtig an, und dann spielte völlig überraschend ein kleines, wehmütiges Lächeln um seine Lippen. »Ja«, sagte er, »ich verstehe.«
    Sie ging zur Tür. »Ich will noch ein bisschen schlafen«, sagte sie entschuldigend.
    Ihr Vater nickte. Als sie die Tür schon hinter sich geschlossen hatte, rief er von innen: »Luise!«
    Sie klinkte die Tür noch einmal einen Spalt auf.
    »Danke«, sagte er leise, und noch einmal: »Danke.«

19

    Obwohl sie doch die ganze Nacht wach gewesen war, konnte sie nicht lange schlafen. Es war vielleicht elf Uhr, als sie wieder aufwachte. Draußen war es sonnig, aber ein frischer Wind ging und bewegte die Flügel an Luises Fenster, das sie weit offen gelassen hatte, rauschte in den Blättern des Nussbaumes, und in ihm lag schon ein kühler Hauch von Herbst. Sie stand auf, trat zum Fenster und sah in den Himmel. Er war blau, die Wolken zogen schnell – ein guter Tag zum Fliegen.
    Sie brauste sich ab, erst sehr heiß, dann so kalt, dass sie nach Luft schnappte, putzte lange die Zähne und fühlte sich danach kaum noch übernächtigt, als sie nach unten kam. Das Haus war leer, aber ihr Platz war noch gedeckt, und die Kaffeekanne stand unter dem gesteppten Kaffeewärmer auch noch auf dem Tisch. Neben ihrem Teller lag ein Zettel: Gottfried im Landeskirchenamt. Erst nachmittags zurück. Bitte die Bohnen pflücken. Luana .
    Gerade, weil sie gewohnt war, sonst schon früh mit den anderen zu frühstücken, ließ sie sich heute viel Zeit. Aus der vergangenen Nacht klang das Außergewöhnliche, das Schöne in ihr nach, einzelne Bilder von Georgs Gesicht, von der Scheune im Mondlicht, die Erinnerung an seine Hände auf ihrer Haut, das war alles noch da, und sie überließ sich dem ganz bewusst. Sie wusste, es war ein fast trotziges Glück, gegen all das, was da draußen war, gegen Junge, der ihr die Stelle weggenommen hatte, gegen die Tatsache, dass Paul und Luana weggehen würden, gegen den Mesner und all die anderen, die Papa hassten. Es war ein Glück, das sie aufrecht sitzen ließ. Sie würde eine andere Stelle finden. Und Papa würde mit Luana und Paul nach Brasilien gehen, wenn er sich erst einmal mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte. Und vielleicht … wenn sie Georg überzeugen konnte … er hatte hier so wenig eine Zukunft wie Papa. Er war auch keiner von denen, die den Mund hielten. Brasilien. Vielleicht würde er mitkommen. Sie überlegte, was es wohl kosten würde, ein Flugzeug zu verschiffen.
    Luise räumte ihr Geschirr in die Küche, spülte Tasse und Teller und stellte sie zum Trocknen auf das Gestell neben dem Spülstein. Dann holte sie sich eine Emailleschüssel und ging in den Garten zu den Beeten. Die Bohnen hingen in dichten Büscheln, es war ein gutes Gartenjahr. Während sie pflückte, fiel ihr auf, dass sie keine Mauersegler mehr hörte. Natürlich, dachte sie, es war Ende August. Nur noch Stare, die im Nussbaum saßen und zwitscherten. Sie sah nach oben. Rauchschwalben. Sie mochte Schwalben auch – sie flogen gut, aber die Mauersegler vermisste sie. Es war so ein wunderbar windiger Tag, sonnig, aber nicht heiß, ein Tag, an dem alles bewegt war. Mauersegler hätten gut hineingepasst. Luise sah in den Himmel, und dann legte sie sich einfach auf die warme, trockene Erde des Weges zwischen den Beeten, stellte die Schüssel neben sich und sah den Schwalben beim Fliegen zu. So müsste Kunstflug wirklich aussehen, dachte sie, wie die würde ich fliegen wollen, oder wie Mauersegler. Durch die Luft stürzen und sich fangen, wie man will, immer oben bleiben und nach Süden fliegen, fort und fort. Sie schloss kurz die Augen. Doch. Sie würde Georg überzeugen. Er würde mitgehen.

    Nachdem sie die Bohnen in die Küche gebracht und geputzt hatte, hielt es sie nicht mehr im Haus. Es war
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