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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt
Autoren: Ewald Arenz
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vorsichtig eine Kurve, dann die nächste in entgegengesetzter Richtung, stieg noch ein wenig und begann, allmählich mutiger werdend, dies und jenes auszuprobieren. Er stieg und sank, flog mit und gegen den Wind, flog seine erste Acht. Dann gab er Gas und flog geradeaus, einfach weiter über Land, so schnell der Motor es hergab. Luise kannte das, lächelte leise und sah nach unten, um sich Landmarken für den Rückweg einzuprägen. Nach etwa zwanzig Minuten drehte sie sich wieder um und deutete auf ihre Uhr. Die Maschine hatte zwei Tanks, die gemeinsam etwa 90 Liter fassten – wieder eines der Provisorien, die Georg so geschickt eingebaut hatte –, und allmählich wurde es Zeit. Er nickte und flog einen Bogen.
    Je näher sie dem Steinbruch kamen, desto nervöser wurde Luise wieder. »Schön gleichmäßig!«, schrie sie Georg gegen den Lärm zu. »Ganz vorsichtig Gas weg, wenn du sinkst! Nicht sacken lassen.«
    Georg nickte konzentriert. Die Straße tauchte auf, und er ging tiefer. Zu schnell!, dachte Luise wieder, als sie sah, wie die Straße auf sie zustürzte. Sie machte Georg Zeichen, und er nahm Gas weg.
    »Mehr!«, schrie sie, und sie wurden noch langsamer. Sie kannte das. Die Angst, dass man zu langsam wurde; aber sie waren immer noch schnell genug.
    »Noch!«, schrie sie wieder. Georg nahm noch etwas Gas weg, sie sanken schnell, und mit einem sehr harten Stoß prallten sie auf, das Flugzeug hüpfte, und sie wurden heftig durchgeschüttelt.
    »Gas!«, schrie Luise, Georg gab etwas Gas, und die Maschine kam sanfter herunter, aber schräg, nur auf einem Rad, Luise hielt die Luft an, sie schwankten, dann waren beide Räder auf der Straße, und sie rasten holpernd, immer noch zu schnell, die Straße entlang. Dann, endlich, nahm Georg ganz das Gas weg und bremste mit aller Kraft.
    Luise atmete tief aus, bevor sie sich umdrehte. »Das nächste Mal«, sagte sie, »fliegst du allein. Das halte ich nicht aus.«
    Aber Georg nahm ihren Kopf zwischen beide Hände und zog sie zu sich. Ihre Fliegerbrillen stießen aneinander, als er sie stürmisch küsste.
    »Ich hab’s geschafft!«, jubelte er. Luise langte über ihn hinweg und stellte den Motor ab.

    Über dem Steinbruch senkte sich die Sonne schon, als sie die Maschine zum Heimflug fertig machten. Georg, noch immer begeistert und aufgeregt, hatte Treibstoff und Öl nachgefüllt, und dann hatten sie die Maschine zurückgeschoben, um wieder gegen die Abendbrise starten zu können.
    »Soll ich noch mal?«, fragte er, nur halb im Scherz, getragen von dem Hochgefühl des ersten Flugs.
    Luise schüttelte amüsiert den Kopf. »So wie du landest, steht danach keine Scheune mehr. Das üben wir vorher besser ein paarmal.«
    Sie freute sich mit ihm, weil sie genau wusste, wie es sich angefühlt hatte, als sie ihren ersten Flug machen durfte. Dieses überwältigende, überschäumende und mit nichts zu vergleichende Gefühl des Fliegens, sich von der Erde entfernen zu können. Und für Georg musste es doppelt so schön sein, denn er hatte dieses Flugzeug gebaut.
    »Wollen wir?«
    Georg verstaute den leeren Kanister wieder im Flugzeug und schob sich seine Motorradbrille über die Augen. Auf seine Weise sieht er sehr verwegen aus, dachte Luise mit einem plötzlichen Aufwallen von Zärtlichkeit. Sie kletterte auf den Flügel und stieg in ihren Sitz. Die Luft dieses Augusttages war satt von Wärme und Abendgerüchen aus dem Fichtenwald, durch den die Straße führte. Ein Käuzchen rief. Im Westen färbte der Himmel sich schon rot. Es wurde Zeit. Georg warf den Motor an und stieg dann auch rasch hoch. Bevor er in seinen Sitz rutschte, beugte er sich zu Luises Ohr und rief, auf den Sonnenuntergang deutend: »Nachtflug!«
    Luise nickte lächelnd und gab ihm einen spielerischen Schubs, damit er sich setzte. Gleichzeitig gab sie Gas.

    Sie war seit sehr langer Zeit, seit Jahren, nicht mehr abends geflogen. Es war ganz anders als bei Tag. Mit dem abnehmenden Tageslicht war es immer mehr, als flöge man nicht von einem Motor gezogen, sondern glitte durch eine Luft, die von selber trüge. Die Sonne sank unter den Horizont, und die fast unendlich langen Schatten der Bäume flossen zur Dämmerung zusammen. Hie und da gingen in den Dörfern schon die ersten Lichter an. Manchmal hörte man verweht und fern eine Glocke, denn sie ­flogen nicht sehr hoch, vielleicht hundert Meter. Und dann ging der Mond auf. Fast voll noch, übergroß und in einem Meer rot gefärbter Luft. Georg drehte sich nicht
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