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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt
Autoren: Ewald Arenz
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um, als er nach Osten deutete, und Luise langte nur nach vorn und berührte seinen Rücken für einen Moment, um zu zeigen, dass sie verstanden hatte. Ein paar Worte des Gedichts, das ihr Vater ihr manchmal im Sommer gesagt hatte, wenn sie als Kind um diese Zeit schon ins Bett musste, kamen ihr plötzlich und waren auf einmal wahr und nicht mehr nur ein Gedicht: … flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus . Sie war mit Georg und er mit ihr und sie beide aufgehoben, im Sinne des Wortes, aufgehoben von allem, was da unten war.

    Sie landete im Mondlicht weich und mit genau der richtigen Geschwindigkeit auf ihrer Wiese mitten im Wald. Sie kannte das Flugzeug nun schon so gut, dass sie es fast blind hätte landen können. Sie rollte vor die Scheune, drehte und stellte den Motor ab. Der Propeller lief aus.
    »Das war ein sehr schöner Flug«, sagte Georg, der noch einen Augenblick sitzen geblieben war.
    »Ja«, sagte Luise.
    Sie stiegen aus, klappten mit ein paar Handgriffen die Flügel hoch und schoben die Maschine wie immer rückwärts in die Scheune. Georg, ganz der gewissenhafte Mechaniker, füllte noch schnell den übrig gebliebenen Kanister in den Tank, damit er die leeren Behälter wieder zur Tankstelle mitnehmen konnte. Dann standen sie im Tor vor ihrem Flugzeug und sahen in den hellen Nachthimmel. Die Grillen zirpten in der Wiese. Wieder rief ein Käuzchen, und ein großer Schatten hob sich unhörbar aus den Bäumen am entfernt gelegenen Waldrand und schwebte über dem Feld. Jagdzeit.
    »Manchmal ist es schwer zu glauben, dass wir eben noch dort oben waren«, sagte Georg.
    Luise nickte. Um Georg waren ganz leicht die Gerüche von dem, was sie mochte, was sich für sie schon immer mit dem Fliegen verband, gute Gerüche. Von Öl und von der groben Baumwolle seines Overalls und der scharfe, flüchtige Geruch von Benzin. Sie sah nach dem Mond. Er stand jetzt schon ein Stück über dem Wald und wirkte kleiner und entfernter als bei seinem Aufgang, aber er leuchtete immer heller.
    »Ich liebe dich, Georg«, sagte sie leise.
    Georg drehte sich zu ihr, fast überrascht. Dann nahm er sehr zärtlich ihre Hände in seine. »Ich liebe dich, Luise«, sagte er mit rauer Stimme, »schon sehr lange und immer mehr.«
    Luise lächelte, begann langsam rückwärts in die Scheune zu gehen und zog Georg an den Händen mit sich.
    »Komm, Flieger«, sagte sie.

    Oben, unter dem Dach auf dem alten Boden, den man nur über die Leiter erreichen konnte, lag die gesammelte Hitze des Sommers und hatte sich mit all dem Duft aus dem Heu vollgesogen. Dort, neben der Leiter, blieben sie stehen, und Luise ließ Georgs Hände, seine wunderbar festen Mechanikerhände, die Knöpfe ihrer Bluse öffnen, den Gürtel ihrer Fahrtenhose und dann – sie spürte das Beben seiner Finger – auch diese Knöpfe. Dann stand sie nackt vor ihm, und nun knöpfte sie seinen Overall auf, und es war ein wunderbares Gefühl, seine Haut unter den Fingerspitzen zu fühlen. Sacht legte sie beide Hände auf seine Brust, hob sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn.
    »Zum Mond«, flüsterte sie, »komm. Zum Mond.«
    Und dann zog sie ihn herunter zu sich.

    Es war schon gegen Morgen, als sie wieder vor die Scheune traten, man konnte im Osten bereits die Sonne ahnen, und der Mond wurde blass.
    »Komm«, sagte Georg, »wir fahren zusammen. Ich bringe dich.«
    Luise schüttelte den Kopf, lächelnd.
    »Ich brauche das Rad doch. Ich kann es nicht wieder hier stehen lassen. Wie soll ich denn dann morgen …«, sie verbesserte sich mit einem Blick auf den Himmel, »… heute herkommen? Oder willst du heute nicht fliegen?«, fragte sie mit zärtlichem Spott.
    Georg sah sie an. »Wie schön du bist.«
    Luise spürte, dass sie rot wurde. Nach dieser Nacht wurde sie rot, weil er ihr sagte, dass sie schön war! Sie legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen. »Sch!«
    »Ich sage es immer wieder!«, rief er fröhlich, »ich singe es auch!« Seine Stimme hallte über die Lichtung.
    »Ja«, sagte Luise, »aber nicht jetzt. Du weckst die Vögel. Ab mit dir!«
    Sie küssten sich noch einmal, blieben in der Umarmung und im Kuss stehen, in seinen Armen spürte sie eine wunderbare, süße Müdigkeit, aber dann machte sie sich energisch frei.
    »Um fünf, Georg, ja?«
    »Um fünf«, sagte er und stieg aufs Krad.
    Sie sah ihm nach und holte dann auch ihr Rad. Im Wald war es noch richtig dunkel und sehr still. Ihr Dynamo surrte, es war schwer zu treten. Sie fühlte sich jetzt doch
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