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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien
Autoren: Heinz G. Konsalik
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»Wie lange werden die Schwierigkeiten dauern?«
    »Bin ich ein Prophet?« rief Smerdow und wischte sich die Augen. »Wie's aussieht, wird es weit in den Januar hineingehen. Schon einmal habe ich das erlebt. Vor vier Jahren. Da haben sie in den Lagern Baumrinden gefressen. Und was sagten die Beamten? Die Amerikaner sind schuld. Machen ein Embargo! – Soll ich etwa in New York anrufen?«
    »Meinen Kühlwagen möchte ich mitnehmen!«
    »Leer? Gribow wird dir mit dem Messer nachlaufen.« Smerdow seufzte und setzte sich auf einen Hocker vor die leeren Regale; es war ein Bild jammervollen Elends. »Nimm deinen Kühlwagen mit«, sagte er. »Es gibt ein Telefon, wenn ich dich brauche. Aber laß dich warnen –«
    »Vor wem?«
    »Auch die Versorgung des Wachbataillons wird stocken. Jeder wird's merken, wenn wieder die Amerikaner schuld sein sollen. Bei mir gibt's immer einen vollen Topf, auch für dich, mein Brüderchen. In Nowo Wostokiny hingegen wirst du vielleicht Brei aus gefrorenen Kartoffeln essen. Oder die Stacheldrahtsuppe.«
    »Stacheldrahtsuppe? Was ist denn das?« fragte Abukow erstaunt.
    »Suppe aus getrocknetem Kohl. Ein Festessen wird's noch sein, wenn bis Januar kein Nachschub kommt. Freundchen, was willst du im Lager?«
    »Mein Theater …«
    Smerdow starrte ihn an, als habe Abukow ihm gegen die Hose uriniert. »Da wird doch keiner mehr die Kraft haben, auch nur noch › Piff !‹ zu sagen. Die Kulissen werden sie auffressen, die Leinwände, die Kostüme auskochen, die Farben ablecken … Bleib hier, Victor Juwanowitsch !«
    Je dramatischer Smerdow die mögliche Entwicklung schilderte, desto unverrückbarer wurde Abukow s Entschluß, ins Lager zu fahren und dort zu bleiben. In Surgut zu sitzen an den dampfenden, fetten Töpfen von Smerdow oder Bataschew , das empfand er als widerlichen Verrat gegenüber seiner verhungernden Gemeinde. Er bedankte sich bei Smerdow , tankte seinen Kühlwagen Nr. 11 voll, nahm sechs Reservekanister Benzin mit und fuhr davon. Smerdow rief ihm zum Abschied noch nach: »Wenn's dir den Magen zerreißt, behalt so viel Benzin zurück, daß du zurückkommen kannst!«
    Auch Abukow winkte noch einmal: »Warst ein guter Kamerad, Lew Konstantinowitsch , ein wahrer Freund. Denk mal an mich, wenn du Langeweile hast!« Das alles klang so, als nehme Abukow Abschied für immer. Als sei ihm bewußt, daß er Surgut nicht wiedersehen werde.
    Bataschew , der Boxer, bei Einbruch des Winters von seinem verdammten Sommerschnupfen befreit, dafür nun geplagt von einem Rheuma, das wie der Schnupfen mit schöner Regelmäßigkeit einsetzte, wenn es draußen feucht wurde – er saß in seiner buntbemalten, überheizten Rangierbaracke, als Abukow eintrat.
    »Habe ich nicht ein beklagenswertes Schicksal?« rief Bataschew . »Im Sommer trieft mir die Nase, im Winter biegt mich das Rheuma krumm. Das war das Ende meiner Boxerkarriere. Im Sommer ein Schlag auf die Nase, und ich war blind – im Winter ein Schlag in die Rippen, und ich wankte herum wie ein gebogener Nagel. Ha, meine Muskeln kennst du – und so etwas liegt brach durch eine Nase und einen schiefen Rücken! Ist das nicht ein schlimmes Schicksal?«
    »Wir laden meine Sachen vom Versteck um in den Kühlwagen«, sagte Abukow und ließ die Tür offen, weil die Hitze wie eine dicke Wand war. »Es ist doch noch alles da?«
    »Diese Frage beleidigt mich, mein Lieber!« antwortete Bataschew . »Habe ich es nötig, an deine geklauten Lebensmittel zu gehen? Natürlich liegen sie im Versteck. Wohin willst du damit?«
    »Ich bringe alles ins Lager 451/1, Maxim Leontowitsch . In zwei Wochen wird es grausam werden. Nichts kommt mehr in das Depot. Es reicht nur noch für die Baudörfer …«
    »Ich kenne das.« Bataschew zog seine Felljacke an und stülpte die Pelzmütze über seinen wuchtigen Schädel. »Hab's zweimal in meiner Lagerzeit erlebt. Für eine Scheibe Brot, dünn wie ein Fensterglas, könnte man morden … Komm, laden wir ein!«
    In zwei Stunden hatten sie alles in den Kühlwagen verfrachtet, was Abukow im Laufe der Wochen aus Smerdow s vollen Depots in kleinen oder auch größeren Mengen entführt und dann zu Bataschew gebracht hatte. Der hatte alles in einem kleinen, unter der Erde liegenden Betonbunker versteckt, zu dem nur er den Schlüssel besaß, weil niemand mehr wußte, wozu er jemals gebaut worden war. Er wurde dann auch vergessen. Nur Bataschew kannte ihn noch. Es war sein geheimes Lager, in dem unter anderem auch der schöne Küchenschrank
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