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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ihren Armen und an ihre Nacktheit gepreßt. »Ich könnte kein Priester mehr sein. Alles, was ich getan habe, wäre sinnlos. Alles, was ich noch tun könnte, müßte ich aufgeben.«
    »Nur, weil ein Beamter uns in ein Register einträgt?«
    »Die Ehe ist ein Sakrament.«
    »Etwas Heiliges also, etwas Gesegnetes. Und gerade einem Priester enthält man diesen Segen vor? Welch ein Widersinn! Er soll von der Liebe, die Gott dem Menschen gegeben hat, predigen, aber selbst davon ausgeschlossen sein? Ein Unsinn ist das doch.«
    »Du wirst es eben leider nie begreifen, Larissanka .«
    »Wer kann Unsinn verstehen? Nur eine Liebe gibt es …«
    »Ich liebe dich unendlich, Larissa. Aber ich habe meine Pflicht zu erfüllen, meinen Auftrag.«
    »Das tust du an jedem Tag, zu jeder Stunde, mit jedem Atemzug. Was aber hat das mit uns zu tun?«
    »Eine grundsätzliche Entscheidung ist es. Entweder helfe ich, das Kreuz über Sibirien zu tragen, so weit es möglich ist, und bin Seelsorger und ein Diener Gottes – oder ich lebe mit dir, wir sind Mann und Frau, haben Kinder und führen ein Leben in der kleinen, eigenen Welt, die wir abschreiten können … Beides gleichzeitig geht nicht, das würde uns zerstören.«
    »Und so zerstörst du mich.« Sie griff nach seinem Kopf, riß ihn hoch und blickte ihn mit flackernden Augen an. »Für deine Gemeinde könntest du sterben!«
    »Ja!«
    »Und für mich?«
    »Für dich auch!«
    »Wo ist da ein Unterschied?«
    »Er liegt in unserem Auftrag. Wir müssen frei sein für das Opfer.«
    »Kein Opfer gibt es mehr ohne mich«, sagte sie und drückte seinen Kopf wieder auf ihre Brust. »Du bist nicht mehr allein, Victorenka . Ich bin in dir …«
    Abukow wartete, bis Larissa Dawidowna eingeschlafen war. Erst da befreite er sich vorsichtig aus ihren Armen und ging leise hinaus. Er wußte, daß dies der Anfang vom Ende einer großen Liebe war.
    Das Leben versank in Schnee, Eis, Frost und in heulenden Stürmen. Riß der Himmel einmal auf, leuchtete er in einem zauberhaften Blau über einer weiß glänzenden Sonne. Dann krachte das Holz der Bäume und hallte über die schweigende unendliche Taiga.
    Abukow war mit den Transportkolonnen nach allen Seiten unterwegs, sobald die Straßen passierbar waren. Überall, wo er hinkam, traf er neue Christen an, oder vielmehr: Sie wagten sich endlich zu ihrem Glauben zu bekennen, wenn Abukow unter sie trat. Er betete dann mit ihnen. Neunmal taufte er junge Männer, die nur das Komsomolzenleben und die sowjetische Jugendweihe gekannt hatten. Vierzehnmal sprach er an einem Grab das letzte Gebet und erteilte das Sakrament. Und noch dreimal hielt er einen versteckten Gottesdienst als Priester in der extra dafür hineingeschriebenen Szene der ›Lustigen Witwe‹.
    Wolozkow hatte sich im Lager JaZ 451/1 zumindest vorübergehend gegen Rassim durchgesetzt: Die Mitglieder des ›Theater Die Morgenröte‹ wurden aus den Brigaden an der Trasse und im Wald herausgezogen und arbeiteten nun im Lagerinnendienst. Aber Rassim wäre nicht Rassim gewesen, hätte er ihnen nicht auch dort einen Teufel in den Nacken gesetzt: Das Arbeitskommando im Lager befehligte nun Leutnant Sotow, der die Männer herumjagte und sie zu so sinnlosen schweren Arbeiten antrieb wie das Umschichten der Benzintonnen von einer Lagerseite zur anderen Lagerseite – oder sie mußten die aus dem Sägewerk angelieferten Balken stundenlang herumtragen und dabei Marschlieder singen. Als erster brach dabei Taschbai zusammen, dann der Dirigent Nagijew , später auch Arikin und der Chirurg Fomin , den Sotow Rundsäulen aus Viereckbalken hobeln ließ – mit einem kleinen Flachhobel, im Freien, bei 40 Grad Frost. Was mit den Säulen geschehen sollte, wußte niemand – auch Rassim nicht, obwohl er Sotows teuflische Idee lobte.
    Unter Wolozkows Aufsicht probte das Theater jetzt auf Vorschlag Abukow s die Oper ›Hänsel und Gretel‹. Die Noten hatte Abukow aus Tjumen über den Kulturbeauftragten bekommen, der am Telefon sagte: »Ihr Ruf ist schon über mich hinaus bis nach Perm geflogen. Meine Gratulation, Victor Juwanowitsch ! Ihre Kulturarbeit wird aufmerksam verfolgt. Es liegt uns viel daran, daß in den Arbeitslagern ein gutes, menschliches Klima herrscht und Freude an der Arbeit. Sehr dankbar sind wir Ihnen. Das wird Schule machen, Abukow . So etwas wie ein geglücktes Experiment gesteht man Ihnen zu. Und ich freue mich, daß ich da mitgeholfen habe.«
    Wenig Sinn hätte es gehabt, den vornehmen Genossen in
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