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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien
Autoren: Heinz G. Konsalik
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aus polierter Birke gestanden hatte und das grüne Plüschsofa, das Glanzstück der ›Lustigen Witwe‹. Jetzt lagerten dort Abukow s Vorräte: Rind- und Schweinefleisch, Fett in Tönnchen, Hühner, Grieß-, Mehl- und Grützesäcke, Zucker und Milchpulver, Marmelade und Reis.
    »Wie willst du das ungesehen ins Lager bringen?« fragte Bataschew , als alle Vorräte umgeladen waren. »An Gribow kommst du nicht vorbei, der stürmt sofort den Wagen wie ein Pirat. Und was Kasimir Kornejewitsch einmal hat, das verschwindet in seinen Riesenbauch. Unheimlich, wie er fressen kann! – Wie willst du das machen, Abukow ?«
    »Ich denke mir etwas aus«, sagte Abukow , schloß die Tür, verriegelte sie und ging nach vorn zum Fahrerhaus. Bataschew folgte ihm, etwas nach vorn gekrümmt – das verfluchte Rheuma stach im Rücken.
    »Leb wohl, mein Freund«, rief Abukow .
    »Wann kommst du wieder, Victor Juwanowitsch ?«
    »Wer weiß das? Smerdow will mich rufen …«
    »Soll ich nachkommen?« fragte Bataschew plötzlich. Sein Blick erinnerte an einen traurigen Hund. »Du brauchst mich doch … schüttle nicht den Kopf, ich weiß es.«
    »Du frißt wie Gribow , das können wir uns nicht leisten …«
    »Ruf mich, wenn du mich brauchst.« Bataschew drückte Abukow so fest an sich, daß ihm fast die Luft wegblieb. »Immer bin ich für dich da, denk daran – immer! Wenn du mich rufst, aus der Hölle haue ich dich heraus.«
    Noch einmal umarmten sie sich, küßten sich auf die Wangen, und wieder hatte Abukow das Gefühl, als ob auch dieser Abschied endgültig sei. Schnell fuhr er davon, blickte sich nicht um, sah auch nicht mehr in den Rückspiegel, obwohl Bataschew winkte. Im April wird am Ob die Schneeschmelze sein, dachte er. Das Eis auf den Flüssen und Seen wird donnernd krachen. Die Wasser werden ablaufen. Die Schlammzeit wird kommen. Für ein paar Wochen würde dann alle Arbeit ruhen – bis schließlich die Sonne wieder brannte, die Erde fest wurde, die neuen Mückenschwärme wie flimmernde Wolken über dem Land lagen und die Bagger sich in die Erde fraßen. Aber wie viele frische Gräber würde es zu dieser Zeit am Waldrand hinter dem Lager geben? Sah General Tkatschew noch einmal die Sommersonne? Und der elende, immer dürrer werdende Physiker Lubnowitz ? Überlebte der Chirurg Fomin den Winter? In den letzten Wochen war er immer schweigsamer geworden, hatte in sich hineingehört und zu Abukow gesagt: »Man ist verblüfft – leer ist der Magen, aber innen, da wächst etwas!« Larissa hatte dazu gemeint: »Er ist ein guter Arzt; es wird schon stimmen, daß er Krebs hat.« Gab es im April den Bäcker Tschalup noch? Den Schriftsteller Arikin ? Den Bildhauer und den Architekten, die beide gemeinsam die Bühnenbilder entworfen hatten? Den Elektriker mit seiner selbst konstruierten Vorhangmaschine, die er aus Bataschews geklautem Transportband gebastelt hatte? Den Vorarbeiter der Schreinerei, der mit seiner Mannschaft die Bühne, die Kulissen und die Sitzbänke gezimmert hatte? Den kleinen Teemischer aus Ulan-Ude, der glänzende Augen bekommen hatte, als er hörte, er solle den Hänsel in ›Hänsel und Gretel‹ singen? Den Metzger, der die Kulissen schleppte und ein steifes Bein hatte, weil er sich vor drei Jahren mit einem Beil selbst verstümmelt hatte in der vergeblichen Hoffnung, er komme auf diese Weise weg aus der Lagerhölle? Gab der Winter sie alle wieder her?
    Abukow fuhr inmitten einer Materialkolonne über die vereiste Straße zum Baudorf an der Trasse und stellte seinen Wagen neben der Baracke ab, in der Jassenski , der neue Chefingenieur des Abschnitts, seine Wohnung hatte. Morosow s Zimmer war noch immer unbewohnt; niemand wollte in einem Raum leben, in dem er sich erschossen hatte.
    Jassenski blickte Abukow ratlos an. »Hat man Sie fehlgeleitet, Victor Juwanowitsch ?« fragte er. »Vor drei Tagen erst war Smerdow s Brigade hier. Aber bitte – wir nehmen jedes Bröckchen an. Waren Sie schon bei Rassim ? Der füttert seine 1.200 Mann mit geschnitzelten Rüben. In einem Liter heißem Wasser schwimmt einsam ein Runkelchen.«
    »Ein guter Freund waren sie immer, Jassenski «, sagte Abukow und schälte sich aus seinem dicken Pelz. »Ein Freund auch von Wladimir Alexejewitsch . Mit Ihnen kann man sprechen …«
    Jassenski sah Abukow nachdenklich an. »Ihre Einleitung, Victor Juwanowitsch , klingt verschwörerisch. Aber es ist, wie Sie sagen: Sie können Vertrauen haben.«
    »Helfen Sie mir, bitte. Im Wagen habe ich für
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