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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom
Autoren: Val McDermid
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sein Großvater nicht mit ihm zufrieden war, konnten sie ihm wie drei verschiedene Leben voller Demütigungen, Leiden und Elend vorkommen. Trotzdem beschwerte er sich nie bei der Mannschaft. Ihm war gar nicht klar, dass es Grund gab, sich zu beschweren. Vom Leben anderer isoliert, hatte er keine Wahl, als zu glauben, dass alle so lebten.
    Dass seine Sicht der Dinge nicht die einzige Wahrheit war, hatte er nur langsam begriffen. Aber als es so weit war, brach diese Einsicht wie eine mächtige Woge über ihn herein, und eine vage Gier nach Befriedigung erfüllte ihn.
    Nur auf dem Wasser war er ruhig. Hier hatte er die Kontrolle über sich selbst und seine Umgebung. Aber das war nicht genug. Er wusste, es gab mehr, und er wollte mehr. Und er wusste, bevor er seinen Platz in der Welt finden konnte, musste er dem Bannkreis seiner Vergangenheit entkommen, der ihn jeden einzelnen Tag gefangen hielt. Andere Leute schienen es ohne Anstrengung zu schaffen, glücklich zu sein. Er hatte die meiste Zeit seines Lebens nur die eiserne Klammer der Angst gespürt, die jede andere Möglichkeit ausschloss. Selbst wenn es nichts Konkretes zu fürchten gab, erfüllte ihn immer schwache, zitternde Zaghaftigkeit.
    Langsam lernte er, wie er das ändern konnte. Er hatte jetzt eine Mission. Wie lange es dauern würde, sie durchzuführen, wusste er nicht, war nicht einmal sicher, wie er merken würde, ob er am Ziel war, außer dass er dann wahrscheinlich beim Gedanken an seine Kindheit nicht mehr zittern müsste wie ein überstrapazierter Motorblock. Aber was er tat, war nötig, und es war möglich. Er hatte den ersten Schritt einer weiten Reise unternommen. Und schon fühlte er sich besser.
    Jetzt, als das Schiff den Rhein durchfurchte und sich auf die holländische Grenze zubewegte, war es Zeit, die Pläne für die zweite Stufe zu konkretisieren. Allein im Cockpit, holte er sein Mobiltelefon heraus und wählte eine Nummer in Leiden.

Kapitel 4
    C arol sah ihre drei Gesprächspartner verständnislos an. »Ich soll ein Rollenspiel für Sie machen?«, sagte sie und versuchte, etwas weniger skeptisch zu klingen, als ihr zumute war.
    Morgan zog an seinem Ohrläppchen. »Ich weiß, es scheint etwas … ungewöhnlich.«
    Carol konnte nicht umhin, die Augenbrauen zu heben. »Ich war des Glaubens, hier in einem Vorstellungsgespräch zu sein, bei dem es um die Stelle geht, für die ich mich beworben habe. Verbindungsperson zwischen Europol und der NCIS . Jetzt weiß ich nicht genau, was hier eigentlich läuft.«
    Thorson nickte verständnisvoll. »Ich kann Ihre Verwirrung nachvollziehen, Carol. Aber wir müssen Ihre Fähigkeiten als Geheimagentin abschätzen können.«
    Morgan unterbrach sie. »Wir führen eine grenzübergreifende europaweite Operation durch und sammeln zur Zeit nachrichtendienstliche Fakten. Wir glauben, dass Sie einen ganz eigenen Beitrag dazu leisten könnten. Aber wir müssen sicher sein, dass Sie die Fähigkeiten haben, dies durchzustehen. Und dass Sie sich in die Lage eines anderen Menschen versetzen können, ohne dabei ins Straucheln zu geraten.«
    Carol runzelte die Stirn. »Es tut mir Leid, Sir, aber das hört sich nicht sehr nach der Stelle einer Verbindungsbeauftragten bei Europol an. Ich dachte, meine Rolle würde im Wesentlichen Fallanalysen betreffen, nicht den konkreten Einsatz.«
    Morgan sah zu Surtees hin, der nickte und den Ball aufnahm. »Carol, es besteht unter uns kein Zweifel, dass Sie eine hervorragende Verbindungsbeauftragte für Europol wären. Aber bei der Betrachtung Ihrer Bewerbung ist uns klar geworden, dass es eine ganz bestimmte Funktion gibt, die nur Sie im Rahmen dieser einzigartigen, komplizierten Aktion erfüllen könnten. Aus diesem Grund hätten wir gern, dass Sie sich überlegen, ob Sie einen Tag lang an einem Rollenspiel als Agentin teilnehmen würden, damit wir beobachten können, wie Sie unter Druck reagieren. Ich kann Ihnen versprechen, dass diese Sache, wie immer sie auch ausgehen mag, unsere Entscheidung über Ihre Eignung als Verbindungsbeauftragte für Europol nicht nachteilig beeinflussen wird.«
    Carol machte sich schnell klar, was Surtees da gesagt hatte. Es klang, als ob sie meinten, sie werde die Stelle auf jeden Fall bekommen. Man sagte ihr, sie hätte nichts zu verlieren, wenn sie dem exzentrischen Vorschlag zustimmte. »Was genau verlangen Sie von mir?«, fragte sie mit unverbindlicher Miene und in nüchternem Ton.
    Thorson nahm jetzt die Sache in die Hand. »Morgen werden Sie
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