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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom
Autoren: Val McDermid
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war wegen einer neuen Stelle nach Aberdeen gezogen, und genau wie er brauchte sie einen neuen Dauerpartner, mit dem sie eine gemeinsame Taktik beim Reizen aufbauen konnte. Sie verstanden sich am Spieltisch sofort sehr gut. Es folgten Bridge-Partys außerhalb des Clubs, dann eine Einladung zum Essen, um die Feinheiten ihres Spiels vor einem Turnier zu planen. Nach ein paar Wochen gingen sie zusammen ins Byre Theatre, aßen Lunch in den Pubs überall im East-Neuk-Gebiet, gingen in den West Sands beim peitschenden Nordostwind spazieren. Er mochte sie, war aber nicht verliebt, und das hatte den nächsten Schritt möglich gemacht.
    Die rein physische Abhilfe für die Impotenz, unter der er fast schon sein ganzes Erwachsenenleben litt, stand seit einiger Zeit zur Verfügung. Tony hatte sich zunächst der Verlockung, Viagra zu nehmen, widersetzt, denn er wollte nicht auf ein pharmazeutisches Mittel wegen eines im Grunde psychischen Problems zurückgreifen. Aber wenn es ihm mit dem Wunsch, sich ein neues Leben aufzubauen, ernst war, dann gab es keinen logischen Grund, weiterhin den Maximen des alten Lebens anzuhängen. Also hatte er die Tabletten genommen.
    Schon allein die Tatsache, dass er es schaffte, mit einer Frau ins Bett zu gehen und dabei nicht dauernd mit der trüben Aussicht auf sein Versagen beschäftigt zu sein, war eine neue Erfahrung für ihn. Von der schlimmsten Angst befreit, konnte er die Zaghaftigkeit und Peinlichkeit vermeiden, die das Vorspiel für ihn immer bedeutet hatten. Er war selbstbewusst und konnte fragen, was sie sich wünschte, und traute sich zu, es ihr geben zu können. Sie schien es jedenfalls zu genießen, so sehr, dass sie nach mehr verlangte. Und er hatte zum ersten Mal den Machostolz und das großspurige Auftreten verstanden, das sich einstellt, wenn ein Mann seine Frau befriedigt hat.
    Und doch, und doch. Trotz der körperlichen Lust konnte er das Bewusstsein nicht abschütteln, dass diese Lösung eher etwas übertünchte, als es zu beheben. Er hatte die Symptome nicht behandelt, sondern sie nur versteckt, und was er gefunden hatte, war lediglich eine neue und bessere Maske, mit der er seine Unzulänglichkeit als Mensch verdeckte.
    Vielleicht wäre es anders gewesen, wenn der Sex mit Frances tiefe Emotionen geweckt hätte. Aber Liebe war eben etwas für andere Menschen. Liebe war etwas für Männer, die der Partnerin etwas geben konnten, die mehr bieten konnten als eine deformierte Psyche und Bedürfnisse. Er hatte sich angewöhnt, die Liebe als etwas für ihn Unerreichbares zu betrachten. Es hatte keinen Sinn, sich nach dem Unmöglichen zu verzehren. Die Grammatik der Liebe war eine Sprache, die er nicht beherrschte, und keine noch so große Sehnsucht danach würde das je ändern. Also verdrängte er seine Angst zusammen mit seiner funktionellen Impotenz und fand mit Frances eine Art Frieden.
    Er hatte sogar gelernt, diesen Zustand als selbstverständlich anzusehen. Augenblicke wie dieser, wo er innehielt und die Lage analysierte, waren in dem bedachtsamen Leben, das sie sich zusammen aufgebaut hatten, immer seltener geworden. Er war, so sagte er sich selbst, wie ein Kleinkind gewesen, das die ersten unbeholfenen Schritte tat. Anfangs hatte es ihn extrem viel Konzentration gekostet und eine Menge unerwarteter Schrammen und Stürze mit sich gebracht. Aber nach und nach vergisst der Körper, dass jeder sichere Schritt nach vorn ein verhindertes Fallen ist. Es wird möglich, zu gehen, ohne es als ein kleines Wunder zu betrachten.
    So verhielt es sich auch mit seiner Beziehung zu Frances. Sie hatte ihre eigene moderne Doppelhaushälfte am Rand von St. Andrews behalten. Sie verbrachten die meisten Wochen je zwei Nächte bei ihr, zwei Nächte in seinem Haus und den Rest jeweils getrennt. Es war ein Rhythmus, der ihnen beiden zusagte, und in ihrem Zusammenleben gab es bemerkenswert wenig Reibungen. Wenn er darüber nachdachte, schien ihm diese Ruhe die direkte Folge davon, dass es zwischen ihnen keine brennende, heftige Leidenschaft gab.
    Jetzt sah sie von den Paprikaschoten auf, die ihre kleinen Hände geschickt in Würfel schnitten. »’n guten Tag gehabt?«, fragte sie.
    Er zuckte mit den Achseln, ging zu ihr und drückte sie liebevoll an sich. »Nicht schlecht. Und du?«
    Sie verzog das Gesicht. »Es ist um diese Jahreszeit immer furchtbar. Der Frühling lässt die Hormone der Teenager verrückt spielen, und vor den Prüfungen liegt neurotische Angst in der Luft. Es ist, als müsste man
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