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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom
Autoren: Val McDermid
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Jagdhund, der in seinen Zwinger zurückgekehrt ist, während sein verächtlicher Blick zu dem Jungen in der Ecke hinüberschweifte. Wenn er fertig war, strich er den Teller mit einem Brocken Roggenbrot aus. Dann nahm er sein Schiffer-Klappmesser heraus und schnitt zusätzliches Brot in Stücke, holte eine Dose Hundefutter vom Schrank, kippte den Inhalt in eine Schüssel und vermischte das Fleisch mit dem Brot. Dann stellte er die Schüssel vor den Jungen hin mit den Worten: »Du bist ein Hundesohn. Deshalb verdienst du das hier, bis du endlich lernst, dich wie ein Mann zu betragen. Ich habe Hunde gehabt, die schneller gelernt haben als du. Ich bin dein Herr, und du hast dein Leben so zu führen, wie ich es dir sage.«
    Zitternd vor Angst, musste sich der Junge hinknien und auf allen vieren essen, ohne das Futter mit den Händen zu berühren. Auch das hatte er durch bittere Erfahrung gelernt. Jedes Mal, wenn er die Hände vom Fußboden hob und zur Schüssel führte, trat ihm sein Großvater mit der Stahlkappe seines Stiefels in die Rippen. Das war eine Lektion, die er sich schnell zu Herzen nahm.
    Wenn seine Vergehen geringfügig waren, durfte er vielleicht auf dem Feldbett im Flur zwischen dem Schlafzimmer seines Großvaters und dem verwahrlosten Bad mit kaltem Wasser schlafen. Aber wenn er dieses Luxus nicht für würdig erachtet wurde, musste er auf dem Küchenboden auf einer schmutzigen Decke liegen, die noch nach dem letzten Hund stank, den sein Großvater besessen hatte, einem Bullterrier, der die letzten paar Tage seines Lebens nichts mehr halten konnte. Oft lag er zusammengerollt da, die Angst ließ ihn nicht schlafen, und die Verwirrung machte ihn gereizt und fahrig.
    Wenn die Sünden, die er unabsichtlich beging, schwerer waren, zwang ihn sein Großvater, die Nacht in der Ecke seines Schlafzimmers stehend zu verbringen, den grellen Lichtstrahl einer 150-Watt-Birne auf sein Gesicht gerichtet. Der Teil des Lichts, der zu seinem Großvater schien, störte diesen wohl nicht, denn er schnarchte und grunzte die ganze Nacht wie ein Schwein. Aber wenn der Junge erschöpft in die Knie ging oder stehend eindöste und gegen die Wand sank, ließ ein sechster Sinn den alten Mann immer sofort aufwachen. Nachdem dies ein paarmal geschehen war, lernte der Junge, sich zum Wachbleiben zu zwingen. Alles würde er tun, um nicht wieder den brennenden Schmerz an den Hoden spüren zu müssen.
    Wenn befunden wurde, dass er mutwillig ungezogen gewesen sei, wenn er im kindlichen Spiel gegen die Vorschriften verstoßen hatte, die er instinktiv hätte begreifen sollen, dann stand ihm eine noch schlimmere Strafe bevor. Er musste in der Kloschüssel stehen. Nackt und zitternd versuchte er krampfhaft eine Position zu finden, bei der keine Krämpfe seine Beine durchzuckten. Sein Großvater kam ins Bad, als sei der Junge unsichtbar, knöpfte seine Hose auf und entleerte seine Blase, wobei der stinkende, heiße Strahl über die Beine des Jungen floss. Der Großvater schüttelte ab, wandte sich um und ging ohne zu spülen hinaus. Der Junge musste balancierend mit einem Fuß in dem Gemisch aus Wasser und Urin in der Schüssel stehen und sich mit dem anderen Fuß am schrägen Porzellanrand abstützen.
    Als dies zum ersten Mal geschah, glaubte er, sich übergeben zu müssen. Er meinte, schlimmer könne es nicht kommen. Aber natürlich stimmte das nicht. Als sein Großvater das nächste Mal kam und die Hose herunterließ, setzte er sich, um seinen Darm zu entleeren. Der Junge war eingezwängt, der Klositz schnitt in seine weichen Waden, mit dem Rücken stand er gegen die kalte Wand, und das warme Gesäß seines Großvaters legte sich wie ein Fremdkörper an seine Schienbeine. Der scharfe Geruch stieg zwischen ihnen auf und ließ den Jungen würgen. Aber sein Großvater tat immer noch so, als sei er nur ein unsichtbarer Geist. Er kam zum Ende, wischte sich ab und ging hinaus, den Jungen in seinem Unrat zurücklassend. Die Botschaft war laut und deutlich: Er war nichts wert.
    Morgens kam sein Großvater ins Bad, füllte, immer noch ohne dem Jungen die geringste Beachtung zu schenken, die Wanne mit kaltem Wasser und spülte endlich die Toilette. Dann – als sehe er seinen Enkel jetzt erst – befahl er ihm, den Schmutz abzuwaschen, hob ihn hoch und warf ihn in die Wanne.
    Es war kein Wunder, dass er, sobald er zählen gelernt hatte, die Stunden zählte, bevor sie wieder aufs Schiff kamen. Sie waren nie länger als drei Tage an Land, aber wenn
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