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Ein Jahr in New York

Titel: Ein Jahr in New York
Autoren: Nadine Sieger
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etlichen Stränden umgeben, die nicht annähernd so übervölkert und trotzdem in Kürze erreichbar sind. Rockaway Beach in Queens hat sogar einen eigenen Bereich für Surfer eingerichtet. Die sah ich des Öfteren mit ihren Boards in die U-Bahn steigen. Oder den Jones Beach State Park mit einem zehn Kilometer langen Sandstrand, das erste öffentliche Projekt des mittlerweile verstorbenen Visionärs Robert Moses. Und dann gibt es diverse beliebte Strände an der Küste New Jerseys. Die sieben Meilen lange Halbinsel Sandy Hook zum Beispiel. Man muss nur am Pier 11 an der Wall Street in die Fähre steigen, und keine vierzig Minuten später ist man, nach einer erfrischenden Bootsfahrt durch den Hafen, schon da. Und nicht zu vergessen: die Superidylle auf Fire Island. Die Long Island vorgelagerte, 32 Meilen lange, autofreie Insel, die für ihre „Gay Community“ genauso bekannt ist wie für den würzigen Duft der Kiefern, die vielen Rehe, die einem einfach vor der Nase herhüpfen, wenn man über die Holzstege zum Wasser läuft, und natürlich die tollen Pudersandstrände. Für die Anreise mussman zwar jedes zur Verfügung stehende öffentliche Verkehrsmittel besteigen. Aber es lohnt sich. Auch für einen Tagesausflug. Und wer möchte, kann bleiben und in einem der vielen Ferienhäuser oder auf den Zeltplätzen übernachten.

    „Wo ist eigentlich David?“, fiel mir plötzlich ein. „David wollte nicht mitkommen. Er arbeitet lieber“, seufzte Valerie und zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, diese Beziehung hat ihr Verfallsdatum bald erreicht. Wir sind einfach zu unterschiedlich. David ist wie ein tolles, aber zu kleines Kleid, das man im Sale findet und in das man unbedingt reinpassen will, aber es sitzt einfach nicht. Letztendlich muss man sich leider trennen, wenn man seinen Kleiderschrank nicht für bessere Stücke blockieren will.“
    Die Sonne ging langsam unter, wir sprangen ein letztes Mal in den eiskalten Atlantik, versuchten, mit unseren Körpern ein paar Wellen zu surfen, und ließen uns vom Weißwasser durchspülen. Danach setzten wir uns in unsere Handtücher gewickelt auf die Decke, hörten dem rhythmischen Schlagen der Wellen zu, beobachteten, wie der Himmel am Horizont den Ozean küsste, und waren ganz beseelt von den Naturgewalten. Dieser Moment totaler Zufriedenheit wollte zelebriert werden. Valerie holte eine Flasche Rotwein aus ihrem Picknickkorb. „Worauf wollen wir anstoßen?“, fragte ich feierlich. „Auf die Liebe natürlich!“, rief Valerie und lachte.
    Ich kehrte mit frisch getankter Lebensenergie in die Stadt zurück. Und als meine Mutter am nächsten Morgen anrief und mal wieder Dauerregen in Westfalen vermeldete, wusste ich auch die Hitze New Yorks wieder zu schätzen. Zum Ausgleich für verschwitzte Nächte strahlte jeden Tag die Sonne.

    Im August verwandelte sich Valerie, die sonst Türme ungespülter Teller tagelang stoisch ignorierte, plötzlich in einen Putzteufel und Reinlichkeitsfanatiker. Wie die meisten New Yorker. Denn alle hatten Angst vor: Kakerlaken. Sie gehörten hier zum Sommer wie Iced Latte am Morgen. Jedes Jahr brach erneut eine Schlacht zwischen den Zweibeinern und den sechsbeinigen Kriechtieren aus. Die Kakerlaken machten vor keinem Gebäude Halt. Ihre Strategie war der Totalangriff. Sie fühlten sich in den Residenzen der Upper East Side genauso wohl wie in den Mietskasernen Chinatowns oder den schicken Lofts in Tribeca. Auch kulinarisch hatten sie keine Vorlieben. Die Chefköche der teuren Edel-Japaner fürchteten sich ebenso vor den krabbelnden Gästen wie die Grillmeister der billigen Burger-Buden. Jeder Krümel war eine Einladung. Waren sie erst mal eingezogen, war es fast unmöglich, die ungewollten Mitbewohner wieder loszuwerden. Egal welche Geschütze man auffuhr. Kein Wunder. Kakerlaken konnten Wochen ohne Nahrungsmittel und Wasser leben und waren selbst gegen radioaktive Strahlung immun. Auch mit Pestiziden war ihnen meist nicht beizukommen, weil sie sich flink in die kleinsten Ritzen und Nischen in Kühlschränken, Computern und Mikrowellen verkrochen. Die Einzigen, die sich über diese Insektenepidemie freuten, waren die Kammerjäger. Die „Pest Control“ und „Exterminator“ zogen mit allerlei giftigen Mittelchen in den Kampf und waren den ganzen Sommer unermüdlich im Einsatz. Sie sprühten und sprühten in einem Gebäude nach dem anderen, in der Hoffnung, präventiv das Schlimmste zu verhindern. „Deshalb müssen wir im Sommer unbedingt jeden
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